Der
Extrakt aus dem Prostatakrebs-Forum
von KISP
und
BPS
Wenn
es auf das Ende zugeht
- [Der
zu erwartende oder bevorstehende Tod durch die Erkrankung ist ein
ganz sensibles Thema, wahrscheinlich das sensibelste überhaupt
bei den Forumsdiskussionen. Es gibt – glücklicherweise
seltene – Krankheitsverläufe, angesichts derer alle
ärztliche Kunst versagt. Auf dieser Seite sind die Berichte zu
einigen solcher Fälle und die Antworten darauf
zusammengestellt.
-
Es
muss andererseits nicht der Krebs sein, an dem man stirbt, aber
irgendwann kommt das Sterben unweigerlich auf jeden von uns zu. Dann
ist es für die Hinterbliebenen eine Erleichterung, wenn der
Verstorbene Angaben und Unterlagen darüber hinterlassen hat,
wie und wo er bestattet werden möchte, welche Kranken- und
Lebensversicherungen bestehen, wo Bankkonten angelegt und
Schließfächer für Wertgegenstände vorhanden
sind, welche Verbindlichkeiten und Außenstände bestehen,
welche Mitgliedschaften zu kündigen sind und last, but not
least, wo der Letzte Wille zu finden ist.
-
Ich
habe versucht, all dies in einem Dokument zusammenzustellen. Näheres
ist zu finden auf der Seite "Der
letzte Rat".
-
– Ed]
- Michaela
fragte am 26.9.2004:
-
Mein
74-jähriger Vater wurde vor vier Jahren wegen Prostatakrebs
notoperiert. Er hatte schon Lähmungserscheinungen in den Beinen
und es wurden zum einen Metastasen im Rückenmark entfernt und
kurz darauf eine Prostatektomie durchgeführt. Das ganze zog
sich von 09/00 bis 12/00 (Reha), aber er hatte sich wieder gut
erholt. Danach wurde er ambulant beim Onkologen bestrahlt, bis
dieser meinte, dass Bestrahlungen an der Stelle nicht länger
durchgeführt werden dürften. Daraufhin wurden die Knochen
alle vier Wochen mit einer Substanz überzogen. Der
mitbehandelnde Urologe verordnete ein Medikament, um weiteren
Entzündungen vorzubeugen. Bis zum Frühjahr 2004 wurden
wohl auch noch Hormone gegeben, die aber nach Rücksprache
zwischen Urologe und Onkologe abgesetzt wurden, weil sie angeblich
nur noch gegenteilige Wirkung hätten. Der PSA-Wert im Frühjahr
veranlasste den Urologen zu der Aussage gegenüber meiner
Mutter, mein Vater habe nur noch wenige Wochen zu leben. Vor drei
Wochen traten wieder Lähmungserscheinungen auf und es wurde vom
Onkologen eine Kernspin angeordnet. Diese fand nicht statt, da er
seit acht Tagen stationär liegt, da er sich überhaupt
nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Das Krankenhaus wollte ihn
ohne abschließende Diagnose nach Hause oder ins
Hospiz/Pflegeheim entlassen, da er nun auch noch verwirrt zu sein
scheint. Ein CT habe aber nur eine kleine Verkalkung ergeben. Auf
Drängen wurde er in die Uni-Neurologie Bonn gebracht. Die Ärzte
raten von einer OP ab wegen geringer Überlebenschancen bzw.
langer Rekonvaleszenz mit 10%-iger Wahrscheinlichkeit, dass er
wieder ans Laufen kommt. Sorgen machen mir die geistigen Ausfälle
und dass er kaum noch zu verstehen ist. Die Ärzte mutmaßen,
ob eventuell Knochenmetastasen im Schädelbereich sind, die auf
dem ihnen nicht vorliegenden CT nicht erkannt wurden. Außerdem
sind Metastasen in der Lunge und verstreut auf dem
Oberkörper-Skelett. Er hat Schmerzen und einen Harnwegsinfekt
und wurde wieder ins ursprüngliche Krankenhaus zurückverlegt.
Eine Entlassung nach Haus oder in die Pflege komme aber z. Zt. nicht
in Frage. Was kann man noch tun? Wie lange muss er noch leiden? Hat
jemand in Bezug auf den Krankheitsverlauf schon etwas Ähnliches
gehört?
-
Urologe
fs antwortete am selben Tag:
-
Solche
Verläufe kommen hat man 1-5x pro Jahr in der Praxis. Es tut mir
sehr Leid um Ihren Vater und um jeden Anderen in dieser Situation.
-
Aber
diese völlig unkontollierten Tumoren lassen uns machtlos
daneben stehen und verzweifeln. Hier müssen wir Ärzte
unsere Grenzen erkennen, wir sind eben nicht einmal "Halbgötter",
sondern nur Handlanger in einem größeren Rahmen.
-
Lassen
Sie ALLE Untersuchungen sein, jeder Transport bedeutet Schmerz, jede
Untersuchung neue Hoffnung mit einem tieferen Fall danach.
-
Lassen
Sie Ihren Vater sich auf das Sterben vorbereiten und nehmen Sie ihm
DIE SCHMERZEN. Ein optimales Schmerztherapieregimen ist
unerlässlich.
-
Lassen
Sie Ihn in WÜRDE gehen und nicht voller Schläuche und
anderer Hilfsmittel.
-
Begleiten
Sie ihn auf seinem schweren Weg, wo immer sie können.
-
Gott
sei mit ihm
-
Amen
-
Michaela
schrieb am selben Tag zurück:
-
vielen
Dank für Ihre prompte Antwort.
-
Ich
habe zwar nicht an Wunder geglaubt, aber die Hoffnung nicht
aufgegeben:
-
Seit
heute ist mein Vater wieder klar, d. h. er spricht ganz normal
verständlich und logisch, wo man ihn noch gestern überhaupt
nicht mehr verstehen konnte und er nur noch gestikulierte und total
unruhig war (wie im Delirium).
-
Folgendes
ist passiert: Diese Nacht hat er sich den Katheter aus der
Bauchdecke gerissen (wahrscheinlich unbeabsichtigt während der
ganzen Unruhezustände). Daraufhin wurde aus dem Bauchraum
allerlei mit Wattetupfern entfernt, aber kein neuer Katheter gelegt.
Seit dieser Zeit ist er wieder bei sich!! Meine Mutter hat heute
über zwei Stunden mit ihm gesprochen; er weiß, dass er am
Ende angelangt ist und dass sie ihn zu Hause nicht pflegen kann (sie
ist selbst 70 und außerdem ein Nervenbündel...). Er
wünscht sich nur, dass er so untergebracht wird, dass sie ihn
oft besuchen kann. Er hat totale Angst, dass wir ihn vergessen und
abschreiben!
-
Ich
bin so froh, dass man wieder mit ihm sprechen kann und ihm seine
letzten Wünsche erfüllen kann, aber gleichzeitig so
unendlich wütend, dass das Krankenhaus, in dem er zuerst war
(xxx) und jetzt leider wieder ist, ihm nicht helfen wollte oder
unfähig war, einen Harnwegsinfekt zu erkennen. Wäre er
nicht in der Uni Bonn gewesen, wo er erstmals mit Antibiotika gegen
die Infektion behandelt wurde, weiß ich nicht, was geworden
wäre.
-
Lieber
Urologe, kann ich im Krankenhaus xxx darauf bestehen, dass ihm
wieder ein Katheter gelegt wird? Der behandelnde Urologe hat es
angeordnet, da er auf "normalem" Wege nicht genug Wasser
lassen kann. Oder sollen wir alles so belassen, wie es ist, um ihm
weitere Qualen zu ersparen? Das ist sein Wunsch, den er auch in
einem Patienten-Testament dargelegt hat: Er möchte keine
lebensverlängernden Maßnahmen, wenn es keine Hoffnung
mehr gibt.
-
Vielen
Dank für Eure Aufmerksamkeit,
-
Urologe
fs antwortete:
-
ein
Katheter ist in dieser Situation keine Belastung, keine Quälerei
und keine lebensverlängernde Maßnahme, sondern nur
ENTLASTUNG.
-
Also
keine Bedenken meinerseits.
- Ein
"betroffener Sohn" hatte darum gebeten, dass sein Bericht
zur Leidensgeschichte seines Vaters ins Forum gestellt wird, dies
geschah am 7.4.2006. Einen Tag später kommentierte Urologe Dr.
F. E. diesen Bericht. Nachstehend also der Bericht des Sohnes (in
Normalschrift) mit den Kommentaren eines erfahrenen Urologen (blau
markiert):
-
7.4.2006:
Auf
Bitten setze ich diesen Bericht eines Sohnes über die
Erkrankung seines Vaters hier ins Forum. Der Sohn schrieb im Forum
unter dem Namen Sperber. -
Günter
Feick
-
Dr.F.E.:
Ich denke, es ist sehr wichtig auch solche Verläufe einmal ins
Forum zu stellen um zu überlegen, was man hätte anders
(Frage: besser?) machen können. Lesen Sie meine Anmerkungen im
Text.
-
"Ich
glaube es ist ein Beispiel für die Entwicklung und Therapie
(Hormon- Chemo- und Schmerztherapie) eines Monster-Krebses (Analogie
zum Begriff "Haustierkrebs") Ich habe alles so genau wie
möglich zusammengefasst und möchte es dem Forum,
zukünftigen Patienten (Gott möge deren Anzahl minimal
halten) und deren Angehörigen zu Verfügung stellen -
-
Mein
Vater geb. 1940, 75 kg, Extrem-Raucher, aktiv, voll arbeitsfähig,
auch einige Wochen nach DX. Keine weiteren, uns bekannten
Erkrankungen.
-
Dx
03.05.04, Tastbefund – Prostata groß wie eine Mandarine,
PSA-137,7 ng/ml, Knochenszintigramm im Mai 2004: keine erkennbaren
Metastasen.
Pathologie: T1c; G2, Gleasonscore
3C+4A=7
Zweitgutachten: 4+4=8, kribriformer Krebs -
Dr.F.E.:
Die Befunde sprechen für ein Prostatakarzinom mit hohem Risiko
für Gesundheit und Leben des Patienten.
-
Ab
11.05.04 Hormontherapie mit Flutamid 750 mg/Tag, Umstellung
nach 28 Tagen auf Casodex 50 mg/Tag.
17.05.04 erste
Trenantone- (oder Zoladex-??) Depotspritze. -
PSA-Verlauf:
-
21.06.04
0,44 ng/ml
-
Dr.F.E.:
Hier fällt auf, dass der von Dr. Strum immer wieder gepredigte
ideale PSA-Tiefwert (Nadir) von PSA 0,05 ng/ml nicht erreicht
wurde. Dies ist ein Indiz für ein androgenunabhängiges
Prostatakarzinom. An diesem Punkt sollten die Therapie umgestellt
und Medikamente gegen den androgenunabhängogen Prostatakrebs
eingesetzt werden (Ketokonazol,
Taxotere, Östrogene,
Carboplatin etc.)
-
26.07.04
0,64 ng/ml
16.08.04 0,50 ng/ml
20.09.04
0,44 ng/ml
-
Prostata
kleiner als eine Kirsche (Sonografie)
-
15.10.04
1,04 ng/ml
15.11.04 4,50 ng/ml -
am
15.11.04 dritte Trenantone-Spritze, Casodex abgesetzt!!
(Androgenrezeptormutation ??? und PSAVZ von 15 Tagen??
-
Dr.F.E.:
Es gibt eine Studie, die zu belegen scheint, dass Trenantone LH
nicht so gut senkt wie andere LHRH–Analoga. Man hätte an
dieser Stelle LH einmal messen sollen!
-
ab
20.11.04 Proscar / 2x 5 mg/Tag
23.11.04: 6,13 ng/ml,
freies PSA 2,44 ng/ml, Testosteron 0,53 ng/ml,
Knochenszintigramm ohne Befund -
Dr.F.E.:
Testosteron ist zu hoch (Ziel unter ADT3 = Androgenblockade mit drei
Medikamenten: 0,2 ng/ml!)
-
Am
15.10.04 hatten wir in Eigeninitiative zusätzlich folgende
Messungen veranlasst:
-
Cyfra
21-1: 1,63 ng/ml
Testosteron: 0,43 ng/ml !!
freies
Testosteron: unter 0,50 ng/Liter
PSP (Prostataspezifische
Phosphatase): 1,7 ng/ml
CEA: 1,8 ng/ml
saure
Phosphatase: 6,3 U/l
NSE: 10 ng/ml
Chromogranin
A: 52 ng/ml
-
Am
25.11.04 Vorstellung bei einem Uni-Prof für Uroonkologie. Er
sagt, er würde trotz hohem PSA und eventuellen Metastasen
sofort operieren, zehn Jahre Überlebenschance 90 %, sonst
nur 50 %. Vater bekommt OP-Termin für 13.12.04. Er sagt
ab, da viele andere Experten abgeraten haben.
-
Dr.F.E:
Das kann ich nun in keiner Weise nachvollziehen. Die OP abzusagen
war eine sehr kluge Entscheidung !
-
Übrigens
– Don Cooley hat auf seiner Homepage (www.cooleyville.com)
eine sehr interessante Umfrage gemacht, aus der hervorgeht, dass die
radikale Prostatektomie zahlenmäßig deutlich rückläufig
ist und inzwischen in Amerika mehr Patienten bestrahlt werden (Seeds
und EBRT). Die Strahlentherapie löst die Operation als
Goldstandard ab!
-
Kurz
vor Weihnachten 2004 – Vorstellung bei DKFZ – Wiesbaden:
TRUS (farbig). Arzt sagt – hervorragende Heilungschancen, da
Kapsel der Prostata nicht durchbrochen.
-
Dr.
F.E.: Hat der Kollege noch nie etwas von Nomogrammen gehört
oder gelesen (Partin et al.)?
-
Zitat
von Dr. Strum „Wer nicht bereit ist aus der Vergangenheit zu
lernen ist dazu verdammt sie zu wiederholen“. Das gilt in der
Politik genau so wie beim Prostatakrebs!
-
Vater
wird auf Anweisung seines Urologen im Dezember 2004 bei Onkologen
vorgestellt, da PSA gestiegen auf 17 ng/ml.
-
Vom
Onkologen angeordnetes MRT zeigt offensichtlich diffuse Metastasen
in Wirbelsäule, diese werden von einem anderen Spezialisten auf
unsere Anfrage hin bestätigt.
-
Beginn
des Horrors:
-
Hormontherapie
wird abgesetzt. Ab Januar 2005
-
Beginn
der Chemo: 6 x Taxotere (Docetaxel)
alle drei Wochen (ich glaube 55 mg/qm) in Begleitung mit
Dexamethason und Prednisolon (beides oral), dann zusätzlich
alle vier Wochen Zometa. Weiter vom
Hausarzt Iscador (Mistel), sonst
Vitamine, (D, C)
Selen, Selleriesamen mit Propolis,
Brennesselwurzelextrakt. Gute ägäische Küche
(Olivenöl, Fisch, Tomaten), Knoblauch, Zwiebeln Salate aller
Art, Schafskäse (Dinge die er sowieso sein Leben lang gerne und
viel aß), Vater nimmt fast 20 kg zu in sehr kurzer Zeit, isst
wie ein „Scheunendrescher“.
-
Die
ersten Tage nach den Infusionen totale Niedergeschlagenheit und dann
Depressionen, Schlaflosigkeit und neuropathische Schmerzen. Ab
jeweils dem vierten Tag nach den Chemogaben kehrte „einigermaßen“
Normalität ein. Nur die Niedergeschlagenheit, diese wie er
sagte unglaubliche Müdigkeit und so hartnäckige
Schlaflosigkeit, wurde er nicht los. Wenig Haarausfall (Kopfhaare)
jedoch kompletter Ausfall der Körperbehaarung, nach der 2 .
Chemoinfusion begannen sich seine Zehennägel abzulösen. Er
bekam sehr trockene Haut und Wasseransammlung in den Knöcheln
und eine FETTLEBER (Gott sei Dank, keine Aszites!).
-
Nach
der sechsten Chemo im Juni/Juli 2005 wollte mein Vater nicht mehr!
(lieber sofort sterben sagte er!) das PSA war nun gefallen auf 3,3
ng/ml. Der Onkologe war damit einverstanden, eine Pause einzulegen
und wir wollten Vater in die Sonne schicken, was der Onkologe
ausdrücklich befürwortete. Er bekam OSTAC (ein Orales
Bisphosphonat) und weiterhin Prednisolon als „Urlaubsmedikation).
-
Juli
2005:
-
Kurz
vor Urlaubsantritt starke Nierenstauung rechts mit unerträglichen
Schmerzen. Sein Urologe und ein hinzugezogener „Militärurologe“
rieten von einer OP (Stents von Niere in Blase) ab, da jede OP ihn
belasten würde, und ich zitiere wörtlich den
Militärurologen: „Ihr Herr Papa relativ bald versterben
wird“! Ich wollte mir nicht nehmen lassen, diesen Typen am
Telefon als Idioten zu bezeichnen.
-
Stationärer
Aufenthalt in Uro-Abteilung einer sehr guten Klinik in Koblenz. Er
benötigt Bluttransfusion vor der OP, da Hb ca. 10
(Tumoranämie). Um die Stents einführen zu können,
musste eine TURP durchgeführt werden, die bei dieser
Gelegenheit gewonnen Gewebeproben (Prostata) ergaben nach einer
Untersuchung, dass sein Krebs offensichtlich noch auf Estramustin
ansprechen wird. Er erhält, nachdem ein Stent einoperiert ist,
nochmals eine Blutkonserve und Zometa und wird mit Multosin
(Estramustin –oral) nach ca. einer Woche entlassen. Vater kann
kaum gehen, ist sehr schwach und isst nicht mehr so viel.
-
Ende
Juli 2005:
-
Ab
in die Sonne an die Ägäis. Er ist schwach, hatte bisher
keine Knochenschmerzen. Auch waren die Nierenprobleme weg. Das
Multosin verträgt er überhaupt nicht (er sagte, das sei
noch schlimmer als die Taxan-Chemo,- Brechreiz, Hitzewallungen,
Schwindel, Depression, Magen-Darm-Probleme, Hodenschmerzen,
Kopfschmerzen, allgemeine Erkältungssymptome) – Multosin
wird nach wenigen Tagen abgesetzt. Er will keine Medikamente mehr,
er sagt die Selleriesamen würden ihm reichen, durch sie könne
er wenigstens leichter Wasser lassen. Er hat keinen Appetit und
nimmt langsam aber stetig ab. Hautfarbe gelblich. Seine Knöchel
werden wieder dick.
-
Oktober/November
2005:
-
Nach
dem Urlaub ist er sehr müde, kann kaum noch gehen und hat hohe
Atemfrequenz. Er hat keine Knochenschmerzen. Jedoch klagt er über
Schmerzen in der linken Nierengegend. Die Untersuchung in Koblenz
ergibt, akute Nierenstauung jetzt links! Der sofortige Versuch auch
hier eine Entlastung durch einen Stent zu erreichen schlägt
fehl, da der Krebs in die Blase eingewachsen ist und man nicht gut
durchkommt. Sie schießen ihm von außen ein Loch in die
Niere (Nephrostomie). Nach einigen Tagen wird die Blase ausgeschabt
und ein Stent kann eingeführt werden, der künstliche
Nierenausgang verheilt gut.
-
Mein
Vater bekommt immer wieder Bluttransfusionen. Danach geht es ihm ca
zwei Wochen ganz gut. Er hat vorübergehend wieder Appetit –
für einige Tage. Er wird entlassen mit der Empfehlung:
regelmäßige urologische Kontrolle, Blutbild, und
Fortführung einer Chemotherapie. Das PSA ist mittlerweile auf
71 ng/ml. Ab diesem Zeitpunkt wird mein Vater fast alle zwei Wochen
ins Krankenhaus eingewiesen, um Blut zu bekommen. Sein Urologe
verordnet Fentanyl (Morphiumpflaster) weil er glaubt, dass mein
Vater Knochenschmerzen hat. Dabei hat mein Vater immer wieder
betont, keine Knochschmerzen zu haben, sondern dass sein ganzer
Körper (Muskeln etc..) schmerzten. Die Schmerzen kommen und
gehen, sind also cholikartig. Trotzdem! Das Fentanyl nimmt ihm
innerhalb weniger Tage die restliche Kraft; es sieht so aus, als sei
er nun bettlägerig geworden. Alles, was er zu sich nimmt, sogar
Wasser, erbricht er, verliert rapide 15 kg. Schweißausbrüche,
so etwas hab ich noch nicht gesehen! Er ist eine Woche lang nur noch
bedröhnt. Bis wir die Pflaster absetzen.
-
Er
kommt wieder zu sich. Sein Appetit ist schlecht.
-
Er
bekommt die verschiedensten Medikamente gegen die vom
Morphiumderivat Fentanyl ausgelöste Übelkeit und gegen
seine Verstopfung, gegen seinen niedrig geworden Blutdruck, gegen
seine Schlaflosigkeit, gegen seine Depressionen, die neuropathischen
Schmerzen (Lyrica) und noch „bessere“ Schmerzmittel
Hydromorphon (Palladon).
-
Sein
Blutbild soll sich stabilisieren, damit er eine weitere Chemo machen
kann. Der Onkologe sagt, dass die Chemo bei ihm ja gut gegriffen
hätte und man es durchaus weiter versuchen sollte.
-
Dezember
2005:
-
Anfang
Dezember bekommt er wieder eine geringere Dosis Taxotere (oder
Docetaxel) + Prednisolon. PSA ist jetzt bei 371 ng/ml. Wir feiern
seinen 65. Geburtstag am 11.12.05, an diesem Tag fährt er sogar
Auto. Zwar mit Mühe und in sicherer Begleitung. Er wollte es
so.
-
Zwei
Tage später wird er wieder ins Krankenhaus eingeliefert.
Bluttransfusionen, er hat einen sehr hohen Ruhepuls von 120 Schlägen
und ihm ist ständig schwindelig, er hat starke Schmerzen im
ganzen Körper, cholikartig, keine Knochenschmerzen. Des
weiteren Blutverlust durch Stuhlgang und Harn. Spontanes
Nasenbluten. Einweisung in Innere Abteilung der Koblenzer Klinik
durch Hausarzt. Hb unter 9. Verdacht auf spontane innere Blutungen,
da eine schwere Thrombopenie festgestellt wird.
Magen-Darm-Spiegelung ohne Befund. Der Blutverlust kam wohl durch
das Herunterschlucken von Blut aus dem Rachenraum und eventuell
ausgelöst durch die Stents und die schwere Blasenentzündung
(wird mit Cotrim behandelt).
-
Die
Lunge und die Leber sind nicht mit Metastasen befallen. Dies wurde
uns von den Ärzten gesagt.
-
Anordnung
einer Beckenkammbiopsie:
-
Mehrere
Stanzzylinder weisen auf eine massive Knochenmarkskarzinose hin, die
histologische Untersuchung bestätigt dies. Thrombozyten-Werte
sehr tief bei 10.000 (Normwert 150.000). PSA 807 ng/ml, das ist
der letzte uns bekannte Wert. Vater bildet kaum Thrombozyten, die
Gefahr von inneren Blutung steigt von Tag zu Tag. Er erhält
einmal eine Thrombozytenkonzentration und möchte nach Hause.
-
Er
wird auf eigene Verantwortung am 22.12.05 entlassen. Zu Hause geht
es weiter bergab. Hausarzt sagt, dass er Silvester nicht überleben
wird. Die gesamte Familie „feiert“ trotzdem gemeinsam
mit unserem Vater ins neue Jahr.
-
Januar
2006:
-
Vater
kommt nochmals ins Krankenhaus, weil er sehr niedrige Hb-Werte hat.
Er ist sehr schwach, wird aber sofort nach der Bluttransfusion für
einige Tage recht lebendig. Noch einmal möchte er Autofahren.
Und es klappt, ca 20 km. Die Treppen in den ersten Stock schafft er
alleine aber nicht mehr. Wir versuchen ihn auf den Beinen zu halten.
So oft und solange er will. Er verliert Blut beim Wasserlassen. Dann
wieder einige Tage nicht. Die Ärzte sagen es würde sich
nur noch um wenige Stunden handeln. Fehlalarm! Trotzdem, er isst
kaum noch, trinkt aber enorm viel. Immer öfter liegt er, kann
nur noch minutenweise stehen oder im Sessel sitzen. Er hat eine hohe
Atemfrequenz und einen sehr hoher Puls von über 120 im Liegen!
Er hat aber keine Knochenschmerzen. Er schreit nach Zigaretten,
zündet sie an und macht sie gleich wieder aus. Die Ärzte
legen ihm nahe, keine Bluttransfusionen mehr zu nehmen. Dies würde
sein Leid nur verlängern.
-
Februar
2006:
-
Vater
klagt jetzt über Oberschenkelschmerzen. Er sagt, seine Knochen
würden morgens schmerzen, aber abends nicht.
-
Fortführung
der Schmerztherapie mit Palladon und bei Bedarf mit Novalgin. Er
wird immer schwächer, obwohl er manchmal noch von alleine
aufsteht, zwar mit unsagbarer Anstrengung, aber manchmal sitzt er
für einige Minuten auf der Couch, will sich aber sofort wieder
hinlegen.
-
Ab
etwa 20 Februar isst er nichts mehr und klagt häufiger über
Knochenschmerzen in Wirbelsäule und Oberschenkel. Der Hausarzt
gibt FENTANYL-Pflaster. Mein Vater trinkt noch Wasser, möchte
auch rauchen, kann es aber nicht mehr.
-
Er
verliert Blut beim Wasserlassen. Seine Sprache wird immer
unverständlicher und er möchte nur noch schlafen.
-
März
2006:
-
Vater
sagt kaum noch etwas, er hat immer öfter extreme
Schweißausbrüche. Er trinkt noch Wasser. Aber Kraftbrühe,
Säfte oder dgl. kann er nicht mehr zu sich nehmen. Der Hausarzt
gibt Morphiumspritzen, denn jetzt tut meinem Vater jede Berührung
weh. Am 11.03. helfe ich ihm noch mal aus dem Bett, er möchte
für einige Minuten sitzen.
-
Ab
dem 13.03. regt er sich kaum noch, schläft oder ist total
weggetreten. Nachts schläft er nicht, möchte sich mit
Mutter und uns unterhalten. Er kann aber nichts mehr sagen, sondern
nur noch mit den Augen antworten. Am 15.03.06 um 18:33 Uhr stirbt er
zu Hause im Beisein der ganzen Familie.
-
Keine
zwei Jahre nach der Diagnose!
-
Dr.
F. E.: Das ist leider der typische Leidensweg bei Patienten mit
einem fortgeschrittenen, biologisch sehr agressiven
Prostatakarzinom. Auch die besten Onkologen der Welt können
ähnliche Verläufe nicht verhindern.
-
Dennoch
bin ich der Meinung, und kann das aus vielen Beispielen aus meiner
Praxis belegen, dass man eine schonende medikamentöse Therapie
auch beim androgenunabhängigen Prostatakarzinom machen kann.
Ich verwende zum Beispiel auch Taxotere – aber 25-30
mg/m2/Woche. Das sind natürlich häufigere
Arztbesuche, aber die Nebenwirkungen sind wesentlich geringer.
-
Wichtig
scheint mir aber zu sein, dass frühzeitig mit der Behandlung
gegen androgenrefraktäre Zellklone begonnen wird. Es gibt noch
viele Onkologen und Urologen, die warten bis Knochenschmerzen
auftreten, und dann erst eine „palliative Chemotherapie –
oder Strahlentherapie“ beginnen. Bei der Auswahl der
Medikamente schwebt über dem verordnenden Arzt das
Damoklesschwert „Regress“, sofern es sich um einen
Kassenpatienten handelt. Ich gehe stark davon aus, dass der
verstorbene Patient Kassenpatient war – das lässt sich am
Krankheitsverlauf ablesen.
-
Ich
hoffe sehr, dass man in Zukunft durch geegnete Tests (Stichwort
Chemosensitivitätstestung) feststellen kann, bei welchem
Patienten welches Medikament wirkt, damit man nicht durch
Ausprobieren zu viel Zeit verliert. Wenn diese Tests zuverlässig
sind, wird auch – hoffentlich – die Kasse eine
Kostenübernahme nicht mehr ablehnen können. Aber das ist
wahrscheinlich noch ein langer Weg.
- Ralf
schrieb am 1.5.2006:
-
Dr.F.E.
hat mir kürzlich einen Beitrag von Don Cooley in seinem
PK-Forum http://www.prostate-help.org/ geschickt, vermutlich, weil
dieser Beitrag Dr.F.E. berührt hat. Ich habe ihn übersetzt,
weil ich ihn auch wert finde, bei uns gelesen zu werden. Hier ist
er:
-
"An
alle,
-
ich
würde gerne diese Krankheit diskutieren, wenn sie ins
fortgeschrittene Stadium eintritt. Da wird bei einem Patienten ein
metastasierter Krebs oder hohem Gleason, PSA, ein Stadium, das
vielleicht auf metastasierten Krebs hindeutet – oder zumindest
mögliche Mikrometastasen. Oder jemand, bei dem die
Erstbehandlung versagt hat, und der steigendes PSA hat. In diesen
beiden Fällen ist die Prognose nicht gut.
-
In
beiden Fällen stellt sich die Frage, ob die Behandlungen für
dieses Stadium das Leben des Patienten verlängern wird, und um
welchen körperlichen oder seelischen Preis. Wir haben dazu
widersprüchliche Daten, aber wir glauben, dass zumindest die
Hormonentzugstherapie (HT) das Leben des Betreffenden verlängern
wird, aber uns liegen keine Langzeitstudien vor, in den Patienten
eine HT genutzt haben oder nicht. Aber genug, was uns überzeugt
hat, dass bei fortgeschrittener Erkrankung dies die Behandlung der
ersten Wahl ist.
-
Wir
müssen in Betracht ziehen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt
der Patient gegenüber der HT refraktär wird und zu einer
sekundären Hormonentzugstherapie und dann weiter zur
Chemotherapie gehen wird. In diesem Fall wird nach einiger Zeit der
Prostatakrebs dem Patienten das Leben rauben, wenn ihn nicht zuvor
etwas anderes tötet. Zum Beispiel haben wir wenige Studien, die
zeigen, dass irgendeine Chemotherapie einen Einfluss von mehr als
einigen Monaten auf die Lebensverlängerung hat. Oftmals
wechseln wir zu einem Behandlungsprotokoll, dass ein paar Monate
lang unser PSA unten hält, und wir betrachten das als eine
Lebensverlängerung – aber ist es das wirklich? Oder sind
es nur einige Monate, die wir ohnehin gehabt hätten. Ich glaube
nicht, dass wir es wissen.
-
Wir
stehen also vor einer Frage, die nur der Patient beantworten kann –
nicht seine Frau, seine Freundin, der Arzt, kein Freund – nur
der Patient. Die Frage würde lauten, wie lange möchte ich
am Leben bleiben, und um welchen Preis meiner Lebensqualität –
ist Qualität wichtiger als Quantität. Wenn der Patient
nach langem Nachdenken zu der Antwort gekommen ist, und im
wirklichen Bewusstsein, wie es um ihn steht – es ist eine
mörderische Krankheit. Was immer zu diesem Zeitpunkt die
Antwort ist, kann sich später ändern – der Patient
sollte nicht gedrängt werden, bei dieser ersten Entscheidung zu
bleiben. Es sind sein Körper, Geist und Seele, von denen wir
sprechen – niemandes anderen.
-
Wenn
wir versuchen, den Patienten zu beeinflussen, indem wir ihm sagen,
dass alles in Ordnung ist, und wir werden das durchstehen, bis es
eine Heilung gibt. Leisten wir ihm einen schlechten Dienst, wenn wir
tief im Innern wissen, dass alle Studien aussagen, dass die
Erkrankung ihn töten wird. Leisten wir ihm einen schlechten
Dienst, wenn wir ihn zu Chemotherapie überreden, wo die
Behandlung manchmal schlimmer sein kann als die Krankheit. Leisten
wir dem Patienten einen schlechten Dienst, wenn wir ihm sagen, dass
Ernährung und Nahrungsergänzungen ihn heilen oder ihm
überhaupt helfen werden. Leisten wir ihm einen schlechten
Dienst, wenn wir ihn durchs ganze Land oder gar die ganze Welt jagen
in dem Bemühen, Heilung zu finden, wenn es keine gibt.
-
Ich
persönlich glaube, dass es oftmals genau dies ist, was wir tun.
Wir müssen der Realität ins Auge sehen – ob gut oder
schlecht, wir müssen ihr ins Auge sehen, nach ihr leben, sie
akzeptieren und aussprechen, wie die Dinge stehen.
-
Was
meine ich, was wir tun sollten? Stellt euch den Tatsachen! Seht dem
unvermeidlichen Tod von Hochrisikopatienten durch diese Krankheit
ins Auge. Und lebt für den Augenblick.
-
Ich
glaube, wenn ein Patient erst einmal sich selbst eingesteht, dass
diese Krankheit ihn in absehbarer Zeit umbringen wird, und diese
Tatsache wird von seinen Lieben um ihn herum akzeptiert – dann
öffnet sich ihm und seinen Lieben ein ganz neues Leben. Ein
neues Leben und Glück, wie er sie vielleicht nie zuvor erlebt
hat, eine Glück und eine Zufriedenheit mit sich selbst, die ihm
in diesen verbleibenden Jahren viele frohe Dinge bescheren werden.
Ein wahres Glück, das viele, die jeden Tag ihres Lebens mit der
Krankheit kämpfen, nie erreichen oder auch nur verstehen.
-
Weg
mit der Diät, weg mit den Nahrungsergänzungen, weg mit
allem, was dem Patienten keine Freude bereitet. Wenn nichts davon
hilft, und wir haben Hinweise dafür, dass sie es in diesem
Stadium nicht tun, warum den Patienten mit einem Haufen Unsinn
belasten und ihm falsche Hoffnung geben. Weitere Behandlungen, die
vielleicht schlimmer sind als gar keine Behandlung und ohne Beweis,
dass sie sein Leben verlängern – ich möchte den Rest
meiner Tage in vollen Zügen genießen. Lasst den Patienten
doch Dinge tun, die er immer tun wollte, aber nie konnte. Angeln in
Alaska – na los! Kreuzen in der Karibik – mach's!
Fallschirmspringen – hol dir den Kick. Gebt ihm die Chance,
zusammen mit seiner Partnerin jede Minute seines Lebens bis zur
Neige auszukosten. Sag nicht, dass du etwas nicht kannst – er
weiß es selbst, und er kann solche Entscheidungen treffen.
-
Lasst
ihn in Ruhe, und lasst ihn tun was möchte, um die ihm
verbleibenden Jahre zu genießen. Auf längere Sicht werden
die Familie und die Lieben einsehen, dass sie ihm darin schon voraus
sind.
-
Wenn
dann die Zeit kommt, dass seine Familie ihn nicht mehr pflegen kann
– holt die Hilfe eines Hospizes. Wenn er das Vorstehende getan
hat, dann wird er die Hilfe des Hospizes für sich und
diejenigen begrüßen, denen geholfen wird, ihn zu
versorgen. Und wenn die Zeit kommt, versammeln sich alle in der
Erinnerung an all die schöne Zeit, die sie zusammen verbracht
haben, und wenn er hinübergeht, dann ohne Schmerz und Bedauern.
-
Jedenfalls
sehe ich es so, und ich denke, dies ist das Beste, was wir für
den Patienten tun können – lasst seine verbleibenden Tage
glückliche Tage sein!
-
Don
-
"Weise
lernen mehr von Narren als Narren von den Weisen."
-
Alles
über Prostatakrebs bei http://www.prostate-help.org
-
Einige
Tage später noch ein Beitrag von Don Cooley:
-
Zu
meinem Fall: Ich habe zwei kleine Kinder, 12 und 14. Ich fühle
mich verpflichtet, für sie vorzusorgen, wenn ich sterbe. Ich
möchte nicht, dass mein ganzes Geld für den Versuch
ausgegeben wird, mich am Leben zu erhalten, wenn ich auf längere
Sicht doch sterben werde. Ich habe wunderbare 74 Jahre gehabt und
denke, ich werde noch ein paar weitere leben, aber ich habe alles
Finanzielle geregelt, Patientenverfügung usw., die zu machen
waren – habe sie alle kürzlich auf den neuesten Stand
gebracht. Jetzt muss ich nur gerade genug Geld zurücklassen,
damit die Kinder durchs College kommen (und sie arbeiten können)
und für Michiko [vermutlich seine Frau] zu sorgen (und sie kann
auch arbeiten). Meine zwei älteren Kinder sind 46 und 49 und in
guten Positionen, und ich mache mir ihretwegen und ihrer Kinder
wegen keine Sorgen.
-
Wenn
also die Krankenversicherung (CA und Medicare) die Kosten für
die Medikamente nicht übernimmt, werde ich sie nicht benutzen –
schlicht und einfach. Ich will keine Lebensverlängerung, wenn
es mit meiner Lebensqualität abwärts geht. Nur solange ich
das habe, was ich als eine Lebensqualität betrachte, die ich
genießen kann – werde ich darum kämpfen, am Leben
zu bleiben. Wenn mit dieser Lebensqualität Schluss ist (von mir
zu gegebener Zeit zu betrachten) und ich für die Familie zur
Last werde, möchte ich einfach in Ruhe und Würde abtreten
– und wenn ein Arzt dabei assistieren muss.
-
Don"
-
Dazu
schrieb Jörg (O):
-
Es
ist ein heikles Thema, dass Don C. anspricht; mit dem sich aber
viele von uns auseinandersetzen müssen. So offen wurde es in
unserem Forum noch nicht angesprochen. Wir Krebspatienten, die nicht
durch Operation und/oder Bestrahlung geheilt wurden und sich nun
einer Hormonblockade unterziehen, müssen damit leben, dass
unsere Krankheit unser Lebensende bestimmen kann.
-
Gut,
man verdrängt das Problem, weil man nicht ständig an Tod
und Teufel erinnert werden möchte. Aber das Damoklesschwert
schwebt über mir und die Fragen kochen doch ab und zu hoch: Was
mache ich, wenn ich die Gewißheit habe, dass es bald zu Ende
geht? Klammere ich mich an jeden Strohhalm? Wie werde ich meinen
Mitmenschen gegenüber reagieren? Wie und wo werde ich sterben?
Welche Möglichkeiten habe ich, mein Leiden selbst zu beenden?
Und, und, und.....
-
Sicherlich
läßt uns der Prostatakrebs genügend Zeit, sich mit
diesen Fragen auseianderzusetzen, aber sterben wollen wir alle nicht
und wenn es dann sein muss, dann doch möglichst mit einem sehr
hohen Alter. Ich bin im Laufe der vielen Jahre, in denen ich mit
meiner Krankheit lebe, ruhiger und gelassener geworden;
befriedigende Antworten auf meine Fragen habe ich aber bisher nicht
gefunden.
-
Ich
weiß sie einfach nicht.
-
Fridolin
schrieb:
-
Don
bringt dieses Thema auf den Punkt. Obwohl ich mich über meine
Werte drei Jahre nach der DHB (0,62 ug/l) nicht beklagen kann,
beschäftigte ich mich damit, weil ich Freunde loslassen musste,
die in dieser Situation waren.
-
Der
Vater einer Bekannten, Biopsie mit 57, Gleasing 4+5, Metastasen in
Leber, Knochen und Lymphdrüsen will nach dem zweiten Zyklus
Chemo nicht mehr, verweigert die Einnahme von Medikamenten.
-
"Seid
bei mir und lasst mich in Ruhe sterben"
-
Angehörige
und Freunde können das nur schwer zu akzeptieren. Zunächst
wollte ich ihn überzeugen, es ist nicht das Ende. Es gibt noch
Chancen. Nach Don's Beitrag frage ich mich, war mein Versuch ihn in
seiner Entscheidung zu beeinflussen rechtens. Nein, ich glaube
nicht!
-
Nicht
alle denken so. Sie nehmen den letzten Strohalm, nehmen die damit
verbundenen Leiden hin und hoffen, dass diese "Alibi- und
Hoffnungs - Therapien" das Leben wirklich verlängern.
Wenn, dann mit sinkender Lebensqualität. Da stimme ich Don voll
zu.
-
Um
so zu handeln wie er, braucht man Gottvertrauen, Demut und
Dankbarkeit für das Leben, das uns geschenkt wurde. Die Familie
Don hat einen starken, verantwortungsbewussten Vater. Wer so handelt
wird im Herzen seiner Familie und Freunde weiterleben!
-
Und
Ralf trug nach:
-
als
ich Don Cooleys Text las, musste ich an eine Begebenheit aus Uwe
Peters' SHG denken, in einer Zeit, als Uwe noch lebte. Ein
Mitglied des engeren Kreises (Uwes "Patmos-Gruppe"),
prostatektomiert - Rezidiv - Kassenversion einer Hormonblockade –
steigendes PSA - schließlich Chemotherapie, kam nach der
Chemotherapie wieder in die Gruppe. Er sah aus wie Braunbier mit
Spucke (wie man in Berlin sagen würde) oder tot und wieder
aufgewärmt (wie Bob Leibowitz einmal einen Fall beschrieb), und
Uwe, der in dieser Situation wohl auch hilflos war, versuchte ihm
einzureden, dass er prächtig aussähe und bestimmt bald
wieder auf dem Posten sein werde. Ich hatte als Zuhörer dieser
Unterhaltung kein gutes Gefühl, wusste aber auch nicht, was
besser wäre: die Wahrheit zu sagen, oder zu versuchen, den
Betreffenden moralisch aufzubauen?
-
Nach
dem Lesen von Don Cooleys Text bin ich sicher, dass Uwe damals
falsch reagierte. Der alternative Weg ist aber weitaus schwerer: Mit
dem Betreffenden, vorausgesetzt natürlich, man kennt ihn gut
und weiß, dass man offen mit ihm reden kann, ein Gespräch
unter vier Augen suchen und ihn fragen, wie er selbst die Zukunft
sieht. Wenn sich zeigt, dass er sich seiner Situation bewusst ist
(ich nehme an, dies war damals der Fall), dann darauf eingehen,
vielleicht mit ihm zusammen überlegen, wie er die verbliebene,
ablaufende Zeit zusammen mit seiner Familie auf die schönste
Art und Weise nutzt, ihm sagen - wie Don Cooley es tut - dass er
doch einfach noch das tun solle, was er sich sein ganzes Leben lang
gewünscht hat aber nicht tun konnte, und ihm Mut machen die
Kraft zu finden, das Leben loszulassen, um es in Würde zu
beenden.
-
Jürg
schrieb:
-
Es
ist erfreulich, dass das Thema einmal gründlich zur Spreche
kommt. Also gebe ich auch meine eigenen Gedanken preis:
-
Ich
betrachte den PK als Herausforderung, gegen die zu kämpfen in
einem gewissen Sinn faszinierend ist. Tönt komisch, ist aber
so. Der Ehrlichkeit halber muss ich aber zugeben, dass auch ich in
Abständen von etwa 3 - 4 Monaten von einem kleinen
"Tiefdruckgebiet" besucht werde; aber warum sollte es mir
besser gehen, als Frauen in den Wechseljahren? Und mit zwei oder
drei Tabletten (natürlich nicht aufs mal!) eines
Psychopharmakons, das mir mein Uro vorsichtshalber verschrieben hat,
komme ich gut über die Runden. Dabei spielt es - aus meiner
Sicht - aber eine große Rolle, wie alt man ist. In jungen
Jahren ist es viel schwieriger, mit einer Krankheit umzugehen,
welche die Sexualität aufs Abstellgleis schiebt und
schlimmstenfalls tödlich verlaufen kann, als wenn man, wie ich,
gut 70 Jahre alt ist. In diesem Alter sollte man ohnehin daran
denken, dass man eine begrenzte Lebenserwartung hat und über
kurz oder lang abtreten muss (oder auch darf). Entscheidend aber
scheint es mir zu sein, wie man sich zur Erkrankung einstellt. Wer
das Beste daraus zu machen sucht, sich einerseits mit einer gewissen
Demut damit abfindet, aber andererseits nicht gewillt ist, sich
unterkriegen zu lassen, ist sicher besser dran, als jemand, der nur
noch schwarz sieht. Das tönt nun ein wenig nach Pfarrer, ist
aber gar nicht so gemeint. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht,
dass er es mir hilft, mich mit meinem PK auseinanderzusetzen, ihn
quasi als gleichwertigen Gegner zu betrachten. In Kürze werden
seit meiner Diagnose sechs Jahre vergangen sein, und das Gefecht ist
immer noch unentschieden – mit dem Vorteil auf meiner Seite,
dass der PK in diesen sechs Jahren kaum echte Fortschritte machen
konnte, und dass ich immer noch Kampftruppen in Reserve habe.
-
Ich
weiss, dass ich letztendlich den Kampf wohl verlieren werde,
überlege mir aber ebenfalls, dass es auch andere Todesursachen
als PK gibt...
-
Christian
sah einen Tag später Don Cooleys Text etwas differenzierter:
-
was
hier Don Cooly anspricht, sind tief greifende Aspekte unserer
Menschlichkeit. Als Sterbebegleiter mit Hospizausbildung kann ich
viele seiner Gedanken über die eigene Endlichkeit nur voll
unterstützen. Eine solche Lebenseinstellung zum eigenen Tod ist
eine große Aufgabe für jeden von uns, und nicht nur für
uns Prostatakrebskranke, sondern eigentlich für jeden –
auch gesunden – Menschen, insbesondere, wenn er sich in einem
bereits fortgeschrittenen Alter befindet. Wir sollten uns alle mit
der Möglichkeit auch eines schnellen Abschiednehmens von dieser
Erde befassen, mit der eigenen Endlichkeit also. Schließlich
fahren wir alle Auto, fliegen, Arbeiten im Haushalt, gehen zum
Skifahren und haben gelegentlich auch schon mal was am Herzen. Dann
sind die Aspekte von Don Cooley ein hervorragender Ansatz.
-
Womit
ich gar nicht einverstanden bin, ist seine relativ große
Hoffnungslosigkeit bei den Therapieoptionen. Zwar kann ich
nachvollziehen, dass die konventionellen Organspezialisten mit
lokalen Therapien aufwarten, die mit starken Nebenwirkungen belegt
sind und deren Langzeitwirkung bei einer wahrscheinlich ziemlich
früh einsetzenden systemischen (der Körper ist schon
betroffen) Situation ebenfalls recht unbefriedigend ist, jedoch
glaube ich (etwas mehr als nur Hoffnung), dass dann, wenn der
Prostatakrebs in seiner spezifischen Biologie erkannt und als eine
chronische Erkrankung mit dem Ziel einer Lanzeitkontrolle behandelt
wird, es erheblich größere Hoffnungen zu günstigeren
Überlebenszeiten und besserer Lebensqualität gibt, als bei
einer ständigen Aneinanderreihung von versagenden lokalen
Therapien mit kurativem Ziel. Auch hier stimme ich mit Don Cooley
überein: den Krebs annehmen, ihn in das Leben integrieren aber
ständig auch mit ihm kämpfen.
-
Prostatakrebs
reagiert auf Medikamente, nicht nur die einer Hormonblockade,
besonders günstig. Schließlich sind es nur ca. 3 %
der Männer mit Prostatakrebs, die mit ihm und nicht an
ihm sterben, insbesondere wenn man weiß, das ca. 80 %
aller 80-Jährigen Prostatakrebs haben.
-
Hier
erschient mir Don Cooley allzu pessimistisch, wenn er bereits bei
hohem Gleason, PSA, oder zumindest möglichen Mikrometastasen
(die haben viele von uns, ich auch) den Sprung in die Kiste schon
für unausweichlich hält und Ernährungsumstellungen,
Zusatzstoffe, gar disziplinierte sportliche Bewegung, was
nachgewiesener Maßen auch für jeden gesunden Menschen
ohne Krebs Lebensdauerverlängerung bedeutet, lieber beiseite
schiebt, wenn es Disziplin und Aufwand bedeuten und er deswegen auch
Nebenwirkungen von Therapiemaßnahmen nicht in Kauf nehmen
will.
-
Da
irrt er wohl meines Erachtens.
-
Auch
Rudolf dachte lange über Don Cooleys Text nach. Am 3.5.2006
schrieb er:
-
Danke
Ralf und Dr.Eichhorn für diesen Beitrag,
-
ich
verstehe ihn als Anregung, die Unausweichlichkeit eines Sterbens am
PK eben auch zu thematisieren, neben den vielen anderen Diskussionen
des Kampfes gegen den PK.
-
Ich
stimme vielem zu, von Don Cooley und meinen Vorrednern, bin auch
regelrecht froh, dass über die Möglichkeit, dass man am PK
sterben kann, jetzt hier im neuen Forum vielleicht eine eigene
Diskussions-Abteilung aufgebaut wird, aber ich habe auch
Nicht-Übereinstimmung, teilweise finde ich Don Cooleys
Überlegungen absurd (ähnlich wie Christians Darlegung).
-
„Seht
dem unvermeidlichen Tod von Hochrisikopatienten durch diese
Krankheit ins Auge.“
-
Das,
finde ich, machen wir zu wenig. Sowohl in der Situation, die Ralf
von der Uwe-Peters-SHG berichtete, als auch offiziell auf BPS-Ebene:
Da werden auf den Versammlungen nur kurz ein paar Namen von Männern
genannt, die im vergangenen Jahr gestorben sind, man erhebt sich,
legt eine Trauerminute ein, das wars. Das ist meinem Gefühl
nach zu wenig. Es sind viel mehr Männer aus den Gruppen, also
solche, die wir kannten, gestorben; und zweitens sollte ein ehrendes
Gedenken an diese Männer in einer Selbsthilfe-Organisation
darin bestehen, dass wir jeweils das, was uns Weiterlebendenen und
Weiterkämpfenden lehrreich erscheint oder sogar von den
gestorbenen Männern mit auf den weiteren Weg gegeben worden
ist, hochhalten und irgendwo nachvollziehbar ansiedeln.
-
„Ich
möchte nicht, dass mein ganzes Geld für den Versuch
ausgegeben wird, mich am Leben zu erhalten, wenn ich auf längere
Sicht doch sterben werde. Ich habe wunderbare 74 Jahre gehabt und
denke, ich werde noch ein paar weitere leben …“
-
Im
Prinzip genau richtig, wenngleich das eine Frage der Quantität
ist: Nicht mein ganzes Geld, nein, aber mein halbes? Wieviel ist
das? Stellt sich bei monatlich mehreren tausend Euro nicht auch
irgendwie die Frage, ob das noch angemessen ist? Ich glaube, Geld
ist ein schlechter Ausgangspunkt, um das Vernünftige an dieser
Überlegung herauszufiltern, denn in unserem tollen Kapitalismus
ist das sehr ungleich verteilt – und deshalb ist die
Brutalität dieser Ungleichheit gerade auch beim
unterschiedlichen Ressourcen-Einsatz von reichen und armen
PK-Männern nur mit einer besonderen Wut zu beantworten. Aber
der Gedanke „Ich habe wunderbare 74 Jahre gehabt“ bzw.
der Hinweis, dass das Leben ein Geschenk ist, dass wir mit einer
gewissen Demut uns einstellen sollten, ohne uns unterkriegen zu
lassen - das finde ich hilft. Wir sind nicht allein, wir sind nicht
isolierte Einzelwesen, wir sind biologische Geistwesen in soziale
Netzwerke eingebunden, wir können gar nicht anders als mit
anderen Menschen zusammen. Don Cooley macht das an seinen Kindern
klar – und ordnet eben ein Teil seines Geldes der Zukunft
seiner Kinder zu, sagt damit: Das steht nicht mir zu, sondern ihnen.
Genau. Wir sind nur in der Generationen-Kette gerade unter den
Lebenden, haben aber lediglich dafür zu sorgen, dass die
Staffette des Lebens weitergereicht wird, dass die Bedingungen des
Lebens aufrechterhalten, vielleicht verbessert, aber möglichst
nicht verschlechtert werden. Sieht man das so, wird der eigene Kampf
ums Überleben gegen eine lebensbedrohende Krankheit relativ.
Wir hatten und haben in der SHG Männer, die die Frage
Haus-verkaufen?, Auto-verkaufen?
Die-Zukunft-meiner-Kinder-oder-meiner-Frau-verkaufen? verneint
haben, natürlich, würde ich sagen. Und darüber
gestorben sind. Aber auch Männer, für die sich die Frage
erst gar nicht stellte und auch gestorben sind. So oder so aber gibt
es aber den Punkt für jeden vom Tod durch den PK Bedrohten, an
dem die Entscheidung getroffen wird, den Kampf aufzugeben. Da stimme
Don Cooley ebenfalls zu:
-
„Wir
stehen also vor einer Frage, die nur der Patient beantworten kann –
nicht seine Frau, seine Freundin, der Arzt, kein Freund – nur
der Patient. Die Frage würde lauten, wie lange möchte ich
am Leben bleiben, und um welchen Preis meiner Lebensqualität …“
-
Das
Problem an dieser im Prinzip richtigen Setzung: Auch schon vorher
sind es laufend Fragen, die eigentlich nur der Patient beantworten
kann. Und wenn man die untersucht, stellt man fest, dass das Problem
der Autonomie entscheidend ist: Was ist Autonomie? Wovon hängt
sie ab? Was ist das Gegenteil? Ist nicht ein Patient, der sich nur
von anderen treiben lässt, seinen Lieben um sich herum oder den
Ärzten, weder im Kampf gg. den PK noch bei der Festlegung
seines Sterbens am PK wenig in der Lage, eine autonome, sich selbst
und den eigenen Lieben genügende Entscheidung zu fällen?
Mit der Autonomie eng verbunden ist die Würde. Sterben nicht
oft Männer würdelos, weil sie es nicht geschafft haben,
den „End-Behandlungen“ Einhalt zu gebieten bzw. das
Verhältnis zwischen unsicherer Lebensverlängerung und
Lebensqualität für sich zu bestimmen?
-
Ich
glaube, dass Sterben am PK bis auf wenige Wochen an den Tod heran
ein würdevolles Leben sein kann. Und ich glaube, dass ein
würdevoller Tod in diesem unausweichlichen Bergab am Ende nicht
gesucht werden kann in der haftungsrechtlichen Grauzone von
Morphin-verabreichenden Ärzten, die die
Knochenmetastasen-Schmerzen einerseits nicht genügend
unterdrücken können und andererseits die wahrscheinlich
tödliche Dosis nicht geben dürfen.
-
Absurd
finde ich diese Schlussfolgerung von Don Cooley:
-
„Weg
mit der Diät, weg mit den Nahrungsergänzungen, weg mit
allem, was dem Patienten keine Freude bereitet. Wenn nichts davon
hilft, und wir haben Hinweise dafür, dass sie es in diesem
Stadium nicht tun, warum den Patienten mit einem Haufen Unsinn
belasten und ihm falsche Hoffnung geben.“
-
„Lasst
den Patienten doch Dinge tun, die er immer tun wollte, aber nie
konnte“
-
Eben
dachte ich noch, er hätte 74 wunderbare Jahre gehabt –
aber offenbar hat er das nicht so gemeint, dass das doch genug sein
kann? Nein, im Angesichts des PK-Todes muss nochmal kräftig
einer drauf gemacht werden – ungelebtes Leben jetzt auf einen
Schlag nachholen, Sekunde für Sekunde - ?!? welch ein Quatsch!
Was soll das für eine „Freude“ sein, die sich von
„Diät“ (welch ekelerregendes Wort …) und
„Nahrungsergänzungen“ (igittigitt) befreit, weil
das ohnehin nur Ballast ist. Ich schätze, bei dieser
Einstellung könnte das „Angeln in Alaska“ leicht in
Verstopfung und Erbrechen steckenbleiben.
-
Christian
hat Recht, dass er den Pessimismus von Don Cooley kritisiert. Ich
denke, das gilt eben auch für die Sterbe-Phase. Wenn ich z.B.
lese, dass ein Mann (allerdings nicht PK-, sondern
Lungen-Metastasen) sich, den unvermeidlichen Krebs-Morphin-Tod vor
Augen, einen klaren Kopf behalten wollte, Morphin abgelehnt hat und
irre hohe Mengen von Fischöl genommen hat, so aber kaum
Schmerzen hatte und sich würdig verabschieden konnte. Oder wenn
Don Cooley selbst schreibt:
-
„Und
wenn die Zeit kommt, versammeln sich alle in der Erinnerung an all
die schöne Zeit, die sie zusammen verbracht haben, und wenn er
hinübergeht, dann ohne Schmerz und Bedauern.“ - dann
drückt er ja selbst die Hoffnung aus, dass das möglich
wäre.
-
Also
lasst uns danach suchen und es hier diskutieren: Würdevolles
Sterben am PK.
-
Ich
würde dafür ein eigenes Spezial-Forum für sinnig
halten.
-
„Prostatakrebs
und Psyche“ ist zu allgemein. Diese Überschrift, dieses
Spezial-Forum sollte den Fragen der Psycho-Onkologie bzw.
Psycho-Neuro-Immunologie gewidmet sein – aber das ist eine
eigene Debatte.
- MSV
schrieb am 5.5.206:
-
Ich
möchte euch hiermit mitteilen, dass mein Vater nach knapp drei
Jahren Prostatakrebs (Ausgangs-PSA 500, 4+3, Knochenmetastasen) vor
zwei Wochen im Alter von 71 Jahren friedlich und ohne Schmerzen
eingeschlafen ist.
-
Danke
auch an fs und Christian für die schnellen, guten Tipps und
Ratschläge!
-
Erst
bekam er Hormontherapie mit Profact, dann Casodex...
-
Die
Chemo begann im AUG 2004 bei einem PSA von 40 und senkte den PSA
innerhalb von fünf Monaten auf 5. Er hatte die Chemo immer gut
vertragen, und die einzigen Nebenwirkungen waren Haarverlust am
ganzen Körper und Geschmacksverlust. Der PSA stieg dann bis
Februar 2006 auf 100, und in den letzten acht Wochen bekam er auch
keine Chemo mehr, und der Wert bleib auch konstant. Gut, dass wir
ihn zum Schluß nicht mir der Chemo noch zusätzlich
belastet haben.
-
Wie
schon viele immer sagten: Man stirbt nicht an dem Prostatakrebs,
sondern an den Metastasen!
-
Im
Jahre 2004 wurde eine Hirnmetastase im Kopf zu 80 % beseitigt,
danach Bestrahlung vom Kopf und den restlichen Knochen. 2005 wurde
dann der Sehnerv durch eine andere Metastase abgeklemmt und es
erfolgte eine erneute Bestrahlung, die den Zustand auch verbesserte
und er wieder sehen konnte. Ende 2005 musste er Neuroleptika wegen
des Gehirns nehmen, und von da an ging es bergab und zum Schluss
ging nichts mehr – kein Laufen, keine Kraft,
Schluckbeschwerden, keine Nahrungsaufnahme- außer die Atmung!
-
Der
Urologe hatte das beste gemacht und ihm mit der Chemo gut geholfen.
Die Hausärztin hat ihm Quahlen erspart, indem sie sein Leben
nicht künstlich verlängerte und er zu Hause, zufrieden und
ohne Schmerzen von uns gehen durfte. So wie er es wollte...
-
Es
war ein harter Kampf für ihn und uns. Ich weiß jetzt,
dass Krebs den ganzen Körper total schwächen kann, bis
nichts mehr geht. Dann ist es besser, man lässt los...
-
Und
für die guten Menschen wartet das Paradies. Da wo er jetzt wohl
sein wird:-)
-
Viele
Grüße und lasst euch nie unterkriegen!
- Hutschi
schrieb am 26.11.2008 unter dem Betreff „Die letzten Tage
lebenswert gestalten“:
-
Unter
dem obigen Titel beschäftigt sich Frau Waltraud Kirsch-Mayer
heute im "Mannheimer Morgen" mit diesem
heiklen Thema. Die Zusammenstellung der Fragen zeugt von
Einfühlungsvermögen und Sachkenntnis.
-
Dazu
schrieb Dieter aus Husum am selben Tag:
-
20.11.2008
- Multidisziplinäre Weiterbildung in Berlin:
-
Das
Lebensende gestalten
-
Vom
14. bis 15. November fand unter dem Motto „das Leben
gestalten“ in Berlin bereits zum zweiten Mal das Forum für
Palliativmedizin statt. Eingeladen hatte Prof. Dr. Friedemann Nauck
von der Universität Göttingen. Gastgeber war die Aesculap
Akademie. Zu spüren war eine große Aufbruchsstimmung mit
dem Ziel die professionellen, noch standortorientierten Projekte auf
eine bundeseinheitliche Basis zu stellen. Die Deutsche
Gesellschaft für Palliativmedizin fordert nicht nur mehr
Palliativprofessuren, um die Palliativmedizin als Lehr- und
Prüfungsfach zu etablieren, sondern dringend
Palliative-Care-Konzepte für Alten- und Pflegeheime. Getragen
wurde das Programm durch die hochkarätigen Referenten aus den
Bereichen der Palliativmedizin, Kranken- und Alten- pflege,
Gerontopsychiatrie, Pädiatrie, Allgemeinmedizin und
Intensivmedizin sowie der Psychoonkologie und Theologie. Obwohl der
Hörsaal des Langenbeck-Virchow-Hauses mit 500 Teilnehmern bis
auf den letzten Platz belegt war, hätte man während des
Forums für Palliativmedizin eine Stecknadel fallen hören
können, so gebannt lauschten die Zuhörer den Vorträgen,
die ein abwechslungsreiches Bild über die Möglichkeiten
der Hospiz- und Palliativmedizin lieferten. Präsentiert wurden
Palliative-Care-Konzepte für unterschiedliche medizinische
Fachbereiche, so auch der Intensivmedizin, in denen es um die
Betreuung schwer kranker Menschen geht, die spezialisierte ambulante
Patientenversorgung (SAPV), die Bedeutung der Hospizkultur in Alten-
und Pflegeheimen sowie der Hospizdienste. „Es ist sehr
wichtig, dass Palliativmedizin und Hospizkultur sich auch in
weiteren Fachdisziplinen etablieren“, sagte Friedemann Nauck.
Schwere internistische und neurologische Erkrankungen wie COPD,
Multiple Sklerose, ALS und besonders auch die Altersmedizin mit
ihren eigenen Krankheitsbildern bräuchten ebenso die Angebote
der Palliativversorgung, wie Menschen, die an Krebs erkrankt sind.
Nauck: „450.000 Menschen sterben jährlich in stationären
Einrichtungen, geschätzte 120.000 in Pflegeeinrichtungen und
45.000 auf Intensivstationen. Demgegenüber stehen 15.000 bis
20.000 Menschen auf Palliativstationen.“ Eine
Lösungsmöglichkeit zur Vernetzung stellt der
palliativmedizinische Konsildienst, wie ihn Dr. Christoph Ostgathe
aus Köln vorstellte, dar. Mitarbeiter des Palliativzentrums
können bei Bedarf von anderen Stationen des
Universitätsklinikum zur Beratung oder Mitbehandlung ihrer
Patienten angefordert werden.
-
„Wir
können zwar kein zu Hause zurückgeben, wir können
aber Lebensqualität bieten“, beschrieb Gerda Graf,
Geschäftsführerin der Wohnanlage Sophienhof (Niederzier)
grundsätzlich die Situation von Alten- und Pflegeheimen. Die
Einrichtung hat mit ihrem ganzheitlichen Konzept eine
Vorbildfunktion: Der Begriff HolDE umschreibt das Lebenskonzept der
Einrichtung „Hospiz, Lebenswelt und Demenz“. Als
„lernende Organisation“, so Gerda Graf, müsse sich
der Pflegebetrieb den Menschen und ihren akuten Bedürfnissen
anpassen. Jeder Mensch lebe sein eigenes Tempo, auch beim
Älterwerden. Die Wohnanlage Sophienhof sei dementsprechend
nicht nur ein Gebäude, sondern ein Konzept für die
„Übergänge“, das heißt sowohl ambulante
Pflege, betreutes Wohnen als auch stationäre Pflege.
-
Prof.
Dr. Boris Zernikow (Datteln) lieferte anhand vieler Beispiele einen
Überblick über Palliativmedizin in der Pädiatrie und
die dort dominierenden Krankheitsbilder, die teilweise eine
intensive Behandlung und Betreuung der Familien über viele
Jahre erfordern. Zernikow machte die Vielfältigkeit in der
Pädiatrie deutlich: Ein Kleinkind brauche eine völlig
andere Herangehensweise und Kommunikation als ein junger
Erwachsener. Er fordert vom Gesetzgeber eine besondere
Berücksichtigung der Kinderpalliativmedizin in der
spezialisierten, ambulanten Patientenversorgung.
-
Weitere
Beispiele für den ganzheitlichen Ansatz der Palliativmedizin
fanden sich in den Vorträgen aus dem Bereich der Psychologie
wieder. In der Psychoonkologie werden die Patienten seelisch
aufgefangen und für Therapie- und Krankheitsverlauf gestärkt.
Dabei gehe es immer darum „den Lebenswillen zu stärken
oder zu begleiten“ meinte Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen
(Göttingen). Ähnliches lässt sich auch für die
Trauerbewältigung festhalten. Denn nicht das Ausmaß des
Leids sei entscheidend für spätere, unverarbeitete
Trauerfolgen, so Psychologin Franziska Röseberg (Bonn) sondern
wie es verarbeitet werde. Auch wenn Trauer nicht abgekürzt
werden könne, benötigten trauernde Familien Struktur und
Halt, „um weg vom Abschied, hin zu Erinnerungen zu kommen“.
-
Zum
Abschluss nahm der Theologe und Krankenpfleger Klaus Aurnhammer aus
Völklingen die Zuhörer mit auf eine humoristische Reise
und schaffte damit einen Ausgleich zu der sehr intensiven
Auseinandersetzung mit Sterben und Tod. Gerade in diesem Kontext
bekomme das Lachen eine besondere Bedeutung, denn, so Aurnhammer,
Humor trage dazu bei mit dem Leben Kontakt zu halten.
-
Friedemann
Nauck wandte sich am Ende noch einmal mit einem großen Lob an
Referenten und Auditorium für deren Mitarbeit. Er bedankte sich
auch stellvertretend bei dem Präsidenten der Deutschen
Gesellschaft für Palliativmedizin, Prof. Dr. Christof
Müller-Busch (Berlin), für die Unterstützung der
Gesellschaft und versprach eine Fortsetzung im November nächsten
Jahres.
- Helmut
(i) schrieb am 14.5.2011 unter dem Betreff "Selbstbestimmung am
Lebensende " diesen sehr umfangreichen, nachdenklichen und
bemerkenswerten Text:
-
Vorwort:
-
Zunächst
habe ich gezögert, das genannte Thema hier einzustellen, da es
wenig Bezug zu unserer Krankheit aufzuweisen scheint. Aber es
betrifft früher oder später jeden von uns, da wir alle
sterblich sind. Unsere heutige Gesellschaft hat es verlernt, sich
mit dem Sterben auseinanderzusetzen, obwohl es untrennbar zum Leben
gehört.
-
Für
zusätzliche Problematik sorgt die demografische Entwicklung;
immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter, damit aber auch ein
Stadium, in welchem sie ohne fremde Hilfe nicht mehr zurechtkommen.
Diese Situation, der Mangel an qualifiziertem Fachpersonal und die
damit verbundene Kostenentwicklung erzeugen düstere
Perspektiven für die Zukunft.
-
Deshalb
ist es m. E. wichtig, sich rechtzeitig mit dieser Problematik
zu befassen, um im Alter nicht völlig hilflos einem drohenden
Verfall ausgeliefert zu sein. Es ist eine Herausforderung, hierfür
Prioritäten zu setzen, die den persönlichen Vorstellungen
entsprechen.
-
Für
mich hat Selbstbestimmung bis zuletzt einen hohen Stellenwert und
ich versuche nachstehend, meine Argumente hierfür darzulegen.
Sie wurden u. a. auch von elf Jahren Konfrontation mit dem
Thema Prostatakrebs geprägt.
-
Ich
erwarte keine uneingeschränkte Zustimmung, hoffe aber, gerade
in einem Krebsforum auf Interesse und Resonanz zu stoßen.
Korrekturen sind ebenso willkommen wie Anregungen und Ergänzungen.
-
Ausgangssituation:
-
Trotz
meiner 81 Lebensjahre, trotz Prostatakrebs und etlicher
altersbedingter Mängel war ich bisher mit meiner
Lebenssituation relativ zufrieden.
-
Zusammen
mit meiner Frau bemühte ich mich, durch verantwortungsvollen
Umgang mit der Gesundheit, vernünftige Lebensweise und
körperliches Training, Abbauprozesse in Grenzen zu halten und
verband damit die Vorstellung, dass wir uns möglichst lange
selbständig im eigenen Haus behaupten können.
-
Unabhängigkeit,
Mobilität und Selbstbestimmung sind für uns Werte von
höchster Priorität.
-
Wir
hatten schon lange ein Testament abgefasst, uns gegenseitig
Vorsorgevollmachten erteilt, Patientenverfügungen erstellt und
eine Bestattungsverfügung getroffen, um für einen Unfall
vorgesorgt zu haben. Aber Gedanken an massive Einschränkungen
oder das Ende des Lebens hatten immer noch theoretischen Charakter.
-
Ein
Vorfall der jüngsten Zeit hat mich jedoch zutiefst erschreckt
und massive Spuren hinterlassen.
-
Während
eines Urlaubs in der Türkei wurden wir Beide mit einer heftigen
Magen-Darm-Attacke konfrontiert. Bei mir entstand für einige
Tage ein derartiger Schwächezustand, wie ich ihn in dieser Form
noch nie auch nur annähernd erlebt hatte. Ich war kaum
imstande, mich auf den Beinen zu halten (die bereits durch eine
Polyneuropathie vorgeschädigt sind), musste mich beim
mühseligen Trippeln zur Toilette überall festhalten und
zitterte zeitweise wie Espenlaub.
-
Es
war ein unbeschreiblicher, e r b ä r m l i c h e r
Zustand, der mich auch moralisch lähmte. Ich fühlte mich
noch nie in meinem Leben so hilflos und empfand diese Hilflosigkeit
als erschütternden Vorgeschmack auf mögliche
Zukunftsperspektiven.
-
Plötzlich
musste ich erleben, dass sehr schnell ein Stadium eintreten kann, in
dem die Eigenständigkeit zur Illusion wird. Der geschilderte
Vorfall ist deutlicher Anlass, mich konkreter als bisher mit den
Risiken und Optionen des hohen Alters auseinanderzusetzen.
-
Die
nachfolgenden Zeilen entspringen meinem Bedürfnis, eigene
Gedanken und recherchiertes Wissen schriftlich festzuhalten und zu
strukturieren. Das Formulieren erleichtert mir die Konzentration und
fördert das Verständnis.
-
Das
Ergebnis ist ein erster Entwurf, der als Gerüst für
Gespräche mit meiner Frau, mit den Kindern, mit weiteren
Interessierten, evtl. auch als Leitschnur für Arztgespräche
dienen soll.
-
Alter:
-
Der
Alterungsprozess ist unvermeidbar; er entwickelt sich schleichend,
so dass die Wahrnehmung in vielen Bereichen erst mit Verzögerung
stattfindet.
-
Kraft
und Ausdauer, Konzentration und Gedächtnis lassen nach, das
Befinden schwankt, alles nimmt mehr Zeit in Anspruch und die
Arzttermine häufen sich. Ein großer Teil der verfügbaren
Energie wird für die Bewältigung banaler Alltagsaufgaben
benötigt.
-
Altern
ist nicht nur ein körperlicher Vorgang; es verlangt auch
mentale Arbeit. Man muss bereit und imstande sein, Erwartungen und
Ansprüche zu reduzieren. Man muss lernen, zu akzeptieren, dass
viele Fähigkeiten, darunter auch Wahrnehmungs- und
Empfindungs-Sensibilität nachlassen und Vieles endgültig
der Vergangenheit angehört.
-
Gleichzeitig
findet ein Anpassungsprozess statt, der bewirkt, dass man sich mit
vielen kleinen Defiziten arrangiert. Man wird bescheidener in seinen
Erwartungen und toleranter in Bezug auf eigene Schwächen und
die des Partners.
-
Es
wird erforderlich, sich Gedanken darüber zu machen, mit welchen
Maßnahmen man sich Erleichterung bzw. Unterstützung
verschaffen kann, die noch ein denkbares Maximum an Selbstbestimmung
ermöglichen.
-
Hier
tritt zunächst die Form des Wohnens in den Vordergrund und man
steht vor der schwierigen Entscheidung, ob man möglichst lange
in der vertrauten Umgebung leben möchte oder den Umzug in ein
Heim mit betreutem Wohnen bevorzugt.
-
Betreutes
Wohnen klingt zunächst gut: Keine Hausarbeit, keine
Gartenarbeit, keine Reparaturen, keine Treppen und Hilfe im
Bedarfsfall.
-
Die
Nachteile sind: Verlust der vertrauten Umgebung (die mit viel Liebe
nach den eigenen Bedürfnissen gestaltet wurde), starke
räumliche Einschränkung, Eingewöhnungszwang in ein
völlig neues Umfeld. Es wäre eine äußerst
drastische Umstellung zu verkraften, die nicht mehr reversibel wäre.
Zusätzlich muss die Kostenseite berücksichtigt werden, die
schnell Grenzen hinsichtlich der Gestaltung setzt.
-
Möglichst
lange im eigenen Haus zu leben, erscheint umso erstrebenswerter, je
mehr man sich mit den Alternativen beschäftigt. Man muss bereit
sein – wie bereits erwähnt – Kompromisse zu
schließen und Hilfe in Form von ambulanten Diensten in
Anspruch zu nehmen.
-
Die
Grenzen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung beginnen aufzuweichen.
-
Fakten:
-
Die
moderne Medizin macht es möglich, dass Menschen heute 90 Jahre
und älter werden. Es bestehen Visionen dahingehend, dass die
biologische Grenze des Menschen bei 120 Jahren liegt.
-
So
faszinierend und hilfreich die Ergebnisse der medizinischen
Forschung sind, so ist doch die Kehrseite der Entwicklung nicht zu
übersehen. Im Alter treten Krankheiten auf, die man früher
überhaupt nicht kannte, und trotz aller Therapien entwickelt
sich früher oder später ein Zustand der
"Multi-Morbidität", der langsam aber sicher zum
körperlichen und geistigen Verfall führt.
-
Die
durchschnittliche Lebenserwartung in Mitteleuropa stieg seit 1840 um
40 Jahre!
-
Das
Verhältnis zwischen Alt und Jung wird bis 2050 wie folgt
erwartet:
-
80
Personen über 60 Jahre zu 40 Personen zwischen 20 - 59 Jahre.
-
Die
Gesamtzahl der auf der Welt lebenden Menschen hat sich innerhalb
(m)einer Lebensspanne von 2 auf rund 8 Milliarden vervierfacht!
-
Selbst
bei gebremstem Wachstum ist die weitere Entwicklung nicht
vorstellbar!
-
Pflege:
-
Die
Zahl der pflegebedürftigen Bundesbürger liegt nach Angaben
des Statistischen Amtes heute bereits bei 2,4 Millionen, und bis
2030 wird sich die Anzahl verdoppeln!
-
Wenn
man den Mut hat, weiter zu rechnen, kommt man auf erschütternde
Zukunftsperspektiven in durchaus absehbarer Zeit!!! Die
zwangsläufige Folge ist ein dramatischer Mangel an
Pflegepersonal und eine Kostenexplosion, die nicht mehr finanzierbar
ist.
-
Pflegebedürftigkeit
ist nicht vorhersehbar. Sie kann plötzlich durch eine Krankheit
oder einen Unfall eintreten, sich aber im hohen Alter auch
allmählich einschleichen.
-
Sie
verändert nicht nur das Leben des Betroffenen, sondern auch das
der Angehörigen dramatisch. Pflegende Angehöre –
soweit vorhanden – sind einer enormen physischen und
psychischen Belastung ausgesetzt; nicht selten erkranken sie dadurch
selbst.
-
In
vielen Fällen bleibt nur die Unterbringung in einem Pflegeheim.
-
Allein
der Gedanke, unter Verlust jeglicher Privatsphäre tagtäglich
von ähnlich oder noch schlimmer Betroffenen umgeben zu sein und
dieser Atmosphäre nicht mehr entrinnen zu können, ist ein
Albtraum!
-
Der
Gedanke, bei den elementarsten Verrichtungen auf fremde Menschen
angewiesen zu sein, ist der pure Horror.
-
Die
Vorstellung, in Windeln und mit Magensonde, in einem Milieu der
Hoffnungslosigkeit dahinzuvegetieren, ist unerträglich.
-
Ebenso
unvorstellbar ist es, den Verfall der Persönlichkeit durch
Demenz durchleben zu müssen. Offen ist die Frage, wer dabei
mehr leiden würde, der Betroffene oder der Partner.
-
Ein
Leben unter solchen Voraussetzungen erscheint uns nicht mehr
lebenswert und wir werden versuchen, alles zu tun, um dieses Stadium
zu vermeiden.
-
Lieber
selbstbestimmt sterben als fremdbestimmt leben!
-
Sterbehilfe:
-
Das
Grundrecht des Menschen auf Selbstbestimmung führt zwangsläufig
zum Thema Sterbehilfe. Sie ist für mich die konsequente
Folgerung aus der geschilderten Problematik. Jeder Mensch sollte für
sich das Recht haben, zu entscheiden, wann er sein Leben beenden
will, egal aus welchen Gründen.
-
Es
ist für mich unverständlich, warum Gesellschaft, Staat und
Kirche diesem Thema so restriktiv gegenüberstehen.
-
Das
Argument "die Ehrfurcht vor dem Leben" verbiete eine
solche Lösung, erscheint mir nicht nur unpassend, sondern
ausgesprochen verlogen.
-
Wo
bleibt die Ehrfurcht vor dem Leben, wenn dieselbe Gesellschaft
Waffen produziert, Kriege führt, Diktatoren unterstützt
und Menschen in Entwicklungsländern verhungern lässt, um
selbst Macht und Reichtum zu erlangen???
-
Auch
der gerne gewählte Bezug zur Nazi-Vergangenheit ist nicht
zutreffend. Damals ging es um politische Verbrechen, die durch
nichts zu entschuldigen sind. Es war staatlich angeordneter und
durchgeführter Massenmord, also Fremdbestimmung über das
Leben anderer. Dies hat mit Sterbehilfe nichts zu tun.
-
Immer
wieder werden Sterbehilfe und Abtreibung auf eine Stufe gestellt mit
der Begründung, es gehe in beiden Fällen um "Verfügbarkeit
über menschliches Leben". Auch diese Behauptung ist
unzutreffend, denn auch bei der Abtreibung geht es um
Fremdbestimmung.
-
Es
wird argumentiert, dass es zu einem Dammbruch kommen könne,
wenn man Hilfe zum Suizid legalisiert.
-
Im
US-Bundesstaat Oregon ist seit 1998 ein Gesetz in Kraft, welches
unheilbar Kranken die Beihilfe zum Suizid durch ein ärztlich
verschriebenes tödliches Mittel ermöglicht. Bezogen auf
die Gesamtzahl aller Verstorbenen in Oregon machten nur 0,17 %
von dieser Möglichkeit Gebrauch.
-
Auch
in der Schweiz sprechen die Zahlen gegen das Dammbruch-Argument.
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Seit
Gründung von Dignitas 1998 bis 2009 haben insgesamt 1.041
Menschen die Möglichkeit der Freitodbegleitung genutzt. 2009
haben Exit und Dignitas zusammen 306 Freitodbegleitungen
durchgeführt. Im Vergleich zur Gesamtzahl aller 2009 in der
Schweiz Verstorbenen entspricht dies einem Anteil von 0,5 %.
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Ein
weiteres Argument lautet: "Ein Arzt, der einem Schwerstkranken
zum Suizid hilft, verstößt gegen die ärztlichen
Standesrichtlinien".
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Eine
von der Bundesärztekammer in Auftrag gegebene Umfrage bei
Ärzten hat gezeigt, dass immerhin mehr als ein Drittel (37 %)
der befragten Ärzte bereit wäre, bei einem Suizid Hilfe zu
geben.
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Bisher
wussten oft die Ärzte selbst nicht genügend über ihre
Möglichkeiten der Hilfe beim und zum Sterben bei
Schwerstkranken Bescheid, ebenso wenig wie die Pfleger. Das lag und
liegt auch an Mängeln in der Ausbildung in Schmerztherapie, in
ärztlicher Ethik und Medizinrecht, die erst langsam in das
Medizinstudium und die Ausbildung des Pflegepersonals Eingang
finden.
-
Das
im September 2009 erlassene Patientenverfügungsgesetz schafft
mehr Rechtssicherheit für Ärzte und pflegendes Personal.
Es wurde durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni 2010
bestätigt.
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Der
Wille des Patienten ist das entscheidende Kriterium für einen
zulässigen Behandlungsverzicht und muss berücksichtigt
werden. Der Behandlungsverzicht ist möglich durch
Behandlungsabbruch, Behandlungsunterlassung oder
Behandlungsbegrenzung.
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Eine
Unterscheidung zwischen aktivem Tun und Unterlassung findet beim
Behandlungsverzicht nicht statt. Das Unterlassen einer Operation ist
genauso zulässig wie das Entfernen einer Magensonde, das
Abschalten eines Beatmungsgerätes oder eines
Herzschrittmachers.
-
Dies
sind kleine Fortschritte, aber sie reichen nicht aus. Das Recht auf
ein selbstbestimmtes menschenwürdiges Sterben muss für
alle Fälle gewährleistet sein. Deshalb bleibt die
Forderung nach Legalisierung der aktiven Sterbehilfe bzw. ärztliche
Beihilfe zum Suizid aufrechterhalten.
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Suizid:
-
Die
Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass es weltweit etwa eine
Million Suizide pro Jahr gibt. Die Zahl der Suizidversuche liegt
gegenüber den vollendeten Suiziden im Mittel um einen Faktor 10
bis 15 höher. wobei hierbei mit hohen Dunkelziffern zu rechnen
ist.
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In
Deutschland liegt die Anzahl der vollendeten Suizide bei knapp
10.000 pro Jahr. Somit ist eine Größenordnung von etwa
100.000 bis 150.000 gescheiterten Suizidversuchen zu vermuten, das
sind Tag für Tag 300 bis 400 Fälle!
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Die
Suizidrate von Ärzten ist bis zu 3,5-mal höher als die
anderer Bürger. Neben der berufsbedingten dauerhaften
Beschäftigung mit belastenden Themen wie Krankheit und Tod ist
eine mögliche Erklärung für diese hohe Rate, dass
Ärzte sowohl die Kenntnisse als auch Zugang zu Mitteln zur
Ausführung eines Suizids besitzen, über die andere
Bevölkerungsgruppen nicht verfügen.
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Die
Zahl der Suizide steigt mit dem Alter. Es ist davon auszugehen, dass
die Häufigkeit von Suiziden im Alter deutlich unterschätzt
wird. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Mensch seinem langen
Leben ein Ende setzen möchte.
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Viele
Methoden, welche in einer als aussichtslos empfundener Lage
praktiziert werden, sind inhuman, wie Erhängen, Vergiften,
Sturz von hohen Gebäuden oder vor einen fahrenden Zug.
Letzteres ist zusätzlich eine schwere seelische Belastung des
zufällig beteiligten Bahnpersonals.
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Viele
Personen schädigen sich dabei nachhaltig körperlich und
oft auch geistig, mit schwersten emotionellen und finanziellen
Folgen für sich selbst, ihre Familien, aber auch für das
Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft.
-
Andererseits
wären Medikamente vorhanden, die ein schmerzloses Einschlafen
und damit ein selbstbestimmtes, friedliches und humanes Sterben in
heimischer Umgebung ermöglichen könnten. Diese dürfen
aber nach den Bestimmungen des Arznei- und Betäubungsmittelrechts
zur Beendigung menschlichen Lebens nicht eingesetzt werden (sehr
wohl aber in der Tiermedizin!).
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Es
zeugt auch von einer sonderbaren Moral, dass das für die
Sterbebegleitung in der Schweiz vorwiegend verwendete Medikament
Natrium-Pentobarbital in Deutschland hergestellt wird!
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Glaube
und Religion:
-
Immer
wieder tauchen die Fragen auf, ob die Vielfalt der Natur einer
höheren Ordnung entspringt und welchen Sinn das menschliche
Leben hat.
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Kausalität
hat für mich einen hohen Stellenwert und ich neige dazu, nach
einem "Warum" zu fragen. In vielen Fällen finde ich
keine Antwort, wobei die Frage offen bleibt, ob ein höheres
Bildungsniveau zu besseren Ergebnissen oder eher zu weiteren Fragen
führen würde.
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Unterschiedliche
Religionsformen bieten Erklärungen durch einen Gott, der das
Universum schuf und dem Menschen darin eine privilegierte Rolle
zuteilte. Diese geht so weit, dass ihm nach seinem irdischen Tod das
ewige Leben in Aussicht gestellt wird.
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Wenn
Menschen an eine höhere Macht glauben, die ihr Schicksal
bestimmt, so kann dies in der Not eine große Hilfe sein und
ich bin nicht so vermessen, dies bewerten zu wollen.
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Allerdings
wird es dann kritisch, wenn dieser Glaube dazu führt, keinerlei
Eigenverantwortung zu übernehmen.
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Die
Vorstellung, dass ein Gott den Menschen als etwas Einmaliges
geschaffen hat, aber Krieg, Not, Krankheit und Leid jeglicher Art
zulässt, um ihn zu prüfen, ist für mich nicht
akzeptabel.
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Wenn
der Glaube als Erklärung anbietet, dass Gott durch das Leid
diejenigen besonders prüft, die er liebt, dann ist meine
Toleranz überfordert.
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Ich
betrachte den Menschen als ein Produkt der Evolution, als
unbedeutendes Mosaiksteinchen eingebunden in die Aufgabe, für
die Erhaltung der Art nützlich zu sein.
-
Dies
schließt nicht aus, dass wir unsere Fähigkeiten und
Emotionen dazu nützen, um unsere Lebensspanne mit (für
uns) wertvollen Inhalten zu versehen.
-
Religion
betrachte ich als Menschenwerk, geschaffen aus der Angst vor dem
Nichts und der Nicht-Akzeptanz der eigenen Bedeutungslosigkeit. Sie
hat sich zu einem mächtigen Werkzeug entwickelt, um Menschen zu
manipulieren, im positiven wie auch im negativen Sinn.
-
Ich
kann und möchte nicht ausschließen, dass es evtl. eine
höhere Ordnung gibt, die unser Universum steuert. Allerdings
bin ich felsenfest davon überzeugt, dass sie dann von einer
Komplexität ist, die unser Verstand auch nicht annähernd
wahrnehmen, geschweige denn verstehen kann.
-
Evolution:
-
Wir
sind den Gesetzmäßigkeiten der Natur unterworfen, deren
vorrangiges Ziel es ist, den Fortbestand des Lebens zu
gewährleisten.
-
Hierfür
betreibt sie einen unvorstellbaren Aufwand und erreicht ihr Ziel
durch eine unendliche Vielzahl von Strategien und Techniken, die
ausschließlich dazu geschaffen sind, Impulse für die
Fortpflanzung auszulösen.
-
Dies
gilt für alle Lebewesen; der Mensch ist voll in dieses Schema
eingebunden.
-
Die
betörenden Reize des anderen Geschlechts, das beglückende
Gefühl der Verliebtheit, der unbändige Drang zur
Vereinigung, die höchste Lust sexueller Erfüllung sind
Höhepunkte menschlicher Emotionen, aber letztendlich
Erfüllungsgehilfen der Natur, die dazu beitragen, das
gewünschte Ziel – die Fortpflanzung – zu erreichen.
-
Hier
werden unausweichlich Prozesse ausgelöst, die im Erbgut
verankert sind. Die moderne Genforschung zeigt die Strukturen und
ungeheure Vielfalt der gespeicherten Informationen. Die Programme,
die zur Vereinigung, Schwangerschaft, Geburt und Erziehung führen,
sind "Premium-Programme" von höchster Priorität.
-
Ist
der Zweck – neues Leben zu schaffen – erreicht, so hat
das Individuum seinen biologischen Zweck erfüllt und verliert
für die Natur an Bedeutung. Es laufen dann nur noch die
Basisprogramme zur Aufrechterhaltung von lebenswichtigen Funktionen,
deren Effizienz im Lauf der Zeit nachlässt, sodass die
bekannten Abbauprozesse auftreten, die letztlich zum Ende führen.
-
Man
könnte der Natur zum Vorwurf machen, dass sie das Finale nicht
so sorgfältig ausgestattet hat wie die Ouvertüre. Man darf
dabei aber nicht übersehen, dass der Mensch sich überall
eingeschaltet und die ursprünglichen Baupläne gewaltig
verändert hat.
-
Es
gab noch zu keinem Zeitraum in der Geschichte der Menschheit
innerhalb e i n e r Lebensspanne so
viele und gravierende Veränderungen wie in den letzten
Jahrzehnten.
-
Forschung,
Medizin, Technik, Wirtschaft und viele andere Bereiche haben sich in
atemberaubendem Tempo entwickelt und zu teils dramatischen
Veränderungen geführt.
-
Der
Mensch ist dabei, die ganze Welt zu verändern, um sie zu
beherrschen. Gewalt, Terror, Hunger und Elend beherrschen große
Teile unserer Erde. Vielfach liegen die Ursachen im Streben nach
Macht und Reichtum, in Ignoranz, Rücksichtslosigkeit und
Dummheit.
-
Albert
Einstein sagte bereits Anfang des letzten Jahrhunderts:
-
"Wir
leben in einem gefährlichen Zeitalter; der Mensch beherrscht
die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen".
-
Fazit:
-
Ich
bin dankbar für ein erfülltes Leben.
-
Mein
größter Aktivposten war und ist eine Partnerschaft, die
sich in allen Lebenslagen bewährt und meinem Leben Inhalt und
Bereicherung gegeben hat.
-
Ein
halbes Jahrhundert mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein und
mit ihm alles zu teilen – Hoffnungen, Erwartungen, Freude,
Erfolg, aber auch Enttäuschungen und Schmerz – dies ist
eine Erfüllung, welche vielen Paaren heute nicht mehr vergönnt
ist.
-
Nach
einem arbeitsreichen Berufsleben konnte ich mit 60 Jahren einen
neuen Lebensabschnitt beginnen. Ein bescheidener Wohlstand
ermöglichte uns Freiheit und Unabhängigkeit.
-
Die
folgenden zehn Jahre waren die schönsten in unserem gemeinsamen
Leben, ausgefüllt mit Hobbys, Reisen und hoher Lebensqualität.
-
Bis
zur Prostatakrebs-Diagnose im 70. Lebensjahr war ich völlig
gesund und hundertprozentig fit.
-
Eine
Krebserkrankung rechtzeitig zu entdecken und sie elf Jahre im Griff
zu halten, ist eine gelungene Mischung aus Glück und
praktizierter Eigenverantwortung.
-
Ich
denke, dies ist eine sehr positive Bilanz.
-
Ich
möchte keine 100 Jahre alt werden.
-
Weitere
fünf oder sechs Jahre in ausreichender Selbstbestimmung sind
zur Abrundung willkommen. Jede weitere Verlängerung wäre
wohl vom Verfall dominiert und würde die Gesamtbilanz trüben.
-
Ich
akzeptiere meine Endlichkeit.
-
Ich
erwarte nichts anderes als ein großes NICHTS.
-
Es
ist der Gegenbegriff zum SEIN. Es gibt kein Bewusstsein und keine
Wahrnehmung, somit auch kein Bedauern, keine Enttäuschungen,
keine Defizite und kein Leid.
-
Es
besteht keinerlei Anlass, dieses NICHTS zu fürchten.
-
Ich
werde mich bemühen, informiert und vorbereitet zu sein, um ein
hilfloses Ausgeliefertsein am Lebensende zu vermeiden.
-
Die
Auseinandersetzung mit der Problematik und das Wissen um
Alternativen reduzieren diffuse Ängste und tragen dazu bei, die
Lebensqualität der letzten Jahre zu verbessern.
- Ursula_e
schrieb am 17.8.2011 unter dem Betreff "Palliativ oder gleich
Hospiz?":
-
Mein
Vater (83 Jahre alt) hat fortgeschrittenen Prostatakrebs mit
Metastasen überall! (Trotz jährlicher
Vorsorgeuntersuchung). Jetzt ist es soweit, dass sein PSA bei 450
liegt, nach Zometa , Pamorelin, Bestrahlung der Meastasen etc. Nun
Morphium-Pflaster, seitdem kann er nicht mehr essen und bricht alles
wieder aus. Zur Zeit liegt er im Krankenhaus, und man versucht mit
Medikamentengabe vor dem Essen, dass er es drin behält. Auch
ziemlich erfolglos. Er ist 1,80 m groß und wiegt nur noch
60 kg. Er war immer schon schlank mit 76 kg, aber jetzt
ist es nur noch traurig. Er soll jetzt entweder in die
Kurzzeitpflege, eine Palliativ-Station oder ein Hospiz. Meine Mutter
(83) schafft es nicht mehr, auch mit meiner Hilfe nicht. Daher
bleibt eingentlich nur Palliativ oder Hospiz. Könnte mir
vielleicht jemand den Unterschied erklären? Er hat zur Zeit
aufgrund seiner Medikamente keine Schmerzen (zumindest sagt er das),
aber er wird immer schwächer. Die Beine fallen zusammen, und er
ist im Krankenhaus nachts auch schon zusammengeknickt, weil er
allein zur Toilette wollte. Kann man etwas anders machen als
Morphium-Pflaster? Ich nehme nämlich fast an, dass es alles von
dem Morphium kommt.
-
Danke,
dass ich mir das mal von der Seele schreiben konnte.
-
Strahlentherapeut
Daniel Schmidt antwortete einen Tag später:
-
Die
Palliativstation ist dazu gedacht, als Übergangslösung den
Patienten zu versorgen, damit er:
-
a)
nach Hause gehen kann
-
b)
ins Hospiz gehen kann
-
Das
ist eine "normale" Krankenstation mit Ärzten,
Pflegern usw. Es werden Medikamente ganz normal aufgeschrieben,
Infusionen angehängt, usw. Viele Patienten sind nach einem
Aufenthalt wieder fit und können nach Hause mit ambulanter
Pflege gehen, um dort letztendlich zu versterben.
-
Wenn
der Zustand nicht besser wird, dann werden die Patienten ins Hospiz
verlegt.
-
In
einem Hospiz behandelt man auch Patienten, allerdings werden dort
keine lebensverlängernden Maßnahmen ergriffen. Die
Patienten bekommen Schmerzmittel und weitere Medikamente, die das
Leben angenehmer machen. Tritt jedoch eine Infektion ein, wird man
im Hospiz in der Regel nicht intensiv behandeln. Es ist dann einfach
eben so.
-
Hospize
sehen weniger wie Krankenhäuser aus. Es gibt Psychologen,
Seelsorger, die Verwandten können dort auch schlafen, das
Pflegepersonal trägt oft nicht mal weiße Kleider. Man
fühlt sich eben schöner dort als auf einer normalen
Krankenstation.
-
Wenn
ich mir das Ganze so durchlese, kann ich mir sehr gut vorstellen,
dass Ihr Vater eher aufs Hospiz sollte. Die Ehefrau kann einfach ihn
zu Hause nicht versorgen, und das ist auch verständlich. Was
meint denn Ihr Vater? Möchte er wieder nach Hause, traut er
sich das zu?
-
Am
selben Tag schrieb Ursula_e zurück:
-
Mein
Vater (genauer mein Stiefvater) war heute klarer, man hat das
Morphiumpflaster von 50 auf 25 reduziert, so dass er fast
aufgekratzt wirkte. Nach einem langen Gespräch mit dem
Palliativ-Arzt will man nun versuchen, die Ursache für das
Brechen zu finden. Magenspiegelung war ohne Befund. Jetzt soll er
stabilisiert werden und evtl. Sonografie etc. Er wird jetzt wohl
noch eine Woche im Krankenhaus bleiben und kommt dann auf die
Palliativ-Station in der Nähe, so dass meine Mutter ihn täglich
besuchen kann. Er selbst ist Meister im Verdrängen und meint,
nach einer Reha könne er wieder nach Hause. Ab und zu gestattet
er sich, seine Krankheit einzugestehen, und dann weiß er
selbst, dass er im Krankenhaus besser aufgehoben ist als zu Hause,
obwohl er natürlich gern nach Hause würde. Da Muttern aber
wirklich bald "auf dem Zahnfleisch" geht, sie ist immerhin
auch 84 Jahre alt, er in Paschamanier sie scheucht und sie allein
schon aufgrund ihrer Statur (klein und zierlich) ihn nicht halten
kann, falls er zusammenklappt, ist es wirklich nicht darstellbar,
zumal er eine Pflegehilfe nicht zulassen würde. Naja, gefreut
hat mich aber, dass er wieder etwas klarer ist. Der Palliativ-Arzt
hat mit der Entscheidung, das Morphium zu halbieren, m. E. einen
guten Ansatz geschaffen.
-
Am
20.5.2012 meldete Ursula_e sich wieder:
-
Ich
wollte mich noch einmal melden. Charly ist am 16. März
würdevoll und in Ruhe gestorben. Ich kann das Hospiz in Münster
wirklich nur empfehlen. Es war eine friedvolle letzte Zeit von knapp
drei Wochen. Er wollte zum Schluss auch nicht mehr kämpfen. In
der Zeit konnte er auch noch seinen Frieden schließen mit fast
allen, mit denen er doch noch etwas aufzuarbeiten hatte. Beerdigt
wurde er im Ruheforst unter einer schönen Eiche.
-
Meine
Mutter hat danach einen Schlaganfall gehabt, sie hatte sich die
Jahre nur um ihn gekümmert und sich auch körperlich
vernachlässigt. Aber: es geht jetzt wieder bergauf!
-
Passt
alle gut auf Euch auf; ich danke nocheinmal für die viele Hilfe
hier im Forum. Ich wünsche allen viel Mut und Zuversicht. DANKE
- Ute
schrieb am 12.2.2012:
-
Leider
ist gestern mein Vater nach intensivem Kampf gegen den Krebs
gestorben. Er ist sehr friedlich in Anwesenheit von meiner Mutter
und mir eingeschlafen. Wir haben ihn so weit wie möglich
begleitet.
-
Nachdem
die Chemo nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat, sind auch
noch Hirnmetastasen dazugekommen.............
-
Zum
Trost kann ich aber sagen, dass der Tod für mich viel von
seinem Schrecken verloren hat. Schade, dass diese Thematik immer
noch mit vielen Tabus behaftet ist. Klar, die durch den Verlust
entstandene Leere ist unbeschreiblich, aber für meinen Vater
war das Sterben sanft und friedlich. Er hatte keine Schmerzen.
-
Ich
danke ALLEN, die mir mit gutem Rat zur Seite gestanden sind!
- Andy_P
schrieb am 26.5.2012 unter dem Betreff "Mein Pappa ist
gestorben":
-
Vor
vier Jahren dachte ich, dass dieser Tag nie kommen würde. Ich
habe hier nächtelang gelesen, viele Geschichten mitverfolgt,
mich informiert, gelacht und geweint. Aber nie habe ich selbst etwas
geschrieben. Ich war oft berührt über Krankheitsverläufe,
im Guten und im Schlechten. Am 12.05.2012 ist nun mein geliebter
Vater Ulrich verstorben. Für mich ein Vorbild als Vater, mit
all seinen Schwierigkeiten, der selbst keinen guten Vater hatte. Er
hat es nicht an uns (meinen Bruder und mich) weitergegeben. Er hat
es nicht nur anders, sondern besser gemacht, er hat einen Kreislauf
durchbrochen und das schaffen wenige. In seinen letzten Stunden
konnte ich sagen, wie dankbar ich ihm dafür bin, solch einen
tollen Vater gehabt zu haben, und dass ich versuchen werde, meine
kleine Tochter (21 Monate) in ähnlicher Weise zu erziehen. Zum
freien Denken, zu Kreativität und Mitgefühl, Achtsamkeit
und der Fähigkeit, zu vergeben. Und noch vielem mehr. Ich bin
so stolz auf ihn. Beim Erstbefund 03/08 hatte er bereits eine
multiple Metastasierung im gesamten Skelett, PSA 140, einen
Gleason-Score von 5+4=9, allerdings ohne größere
körperliche Symptome. Er hat mich im Diagnosejahr 2008 noch für
ein ein paar Tage auf meiner Radtour von München an die Ostsee
begleitet. Einmal quer durch Deutschland. Konservative Behandlungen
hat er stets abgelehnt. Keine Operation, keine Bestrahlung, keine
Chemo. Bei seinem Krankheitsbild eigentlich auch sinnlos, aber alles
wurde ihm angeboten. Prostataentfernung bei Metastasen. Was für
ein Schwachsinn!!! Allerdings ziemlich rentabel. Es geht hier leider
auch um sehr viel Geld, da sollte man sich nichts vormachen.
Ungefähr drei Jahre Hormonentzug hat er mitgemacht, Zometa zur
gleichen Zeit. Später Schmerztherapien (Fentanyl am Anfang,
später Oxycodon u.v.m). Seine Schmerzen waren fast immer gut
unter Kontrolle. Vor fünf Monaten hat der Hormonentzug versagt.
Eigentlich zur Reha im Krankenhaus, wunderte man sich über
seine tauben Beine. Ergebnis CT: alles voll mit Metas, Skelett,
innere Organe, zum Teil im Gehirn, JEDE (!) einzelne Rippe und viele
Wirbelkörper durch die Metas gebrochen, Beine gelähmt. Vor
ca. vier Monaten Einweisung auf die Palliativstation der
Barmherzigen Brüder in München (die größte und
erfahrenste in Deutschland). Trotz seines Krankheitssatus ist er
dort entlassen worden (und war sehr traurig darüber). Es ging
ihm quasi einfach noch zu gut. Ich kann hier nur Jeden ermutigen,
palliative Pflege in Anspruch zu nehmen. In Deutschland steht das
JEDERMANN zu!!! Ohne größere Zuzahlungen. Egal, sein Ende
war sehr würdevoll. Alles, was gesagt werden musste, wurde
gesagt, und er ist am folgenden Morgen gegangen, ohne Schmerzen oder
erkennbare Panik. Ich saß einige Stunden an seinem Totenbett
und konnte mich ausführlich verabschieden. Das war sehr
wertvoll. Den Abschied wahrzunehmen und zu zelebrieren ist
wahrscheinlich die wichtigste Erfahrung in meinem Leben. Es gibt
nichts mehr zu sagen. Diese Erfahrung wünsche ich euch allen
auch. Aber vor allem wünsche ich euch allen, dass ihr noch viel
Zeit habt, bevor ihr diesen Moment erlebt. Er wird kommen, auch ohne
Krebs.
-
Briele
schrieb am 25.5.2013 ihren 50. und letzten Beitrag mit dem Betreff
„Mein Mann ist gestorben“:
-
Liebe
Leser,
-
Obwohl
ich hier selten geschrieben habe, so gut wie keine Kontakte hatte,
ist es mir jetzt doch ein Bedürfnis ein letztes Mal zu
schreiben, mich für alles zu bedanken was ich hier an Hilfe
erfahren durfte.
-
Mein
lieber Mann Werner ist am 23. Mai verstorben. Im Januar war er 81
Jahre alt geworden. Die letzten 10 Tage verbrachte er in der
Palliativen Abteilung des UKE Hamburg und mir war, als arbeiten dort
keine Menschen, sondern Engel. Daheim ging es trotz Unterstützung
einer ambulanten palliativ-care-Einrichtung einfach nicht mehr. Er
hat nie genug Medikamente eingenommen, war getrieben von der Sorge
sie könnten am Ende nicht reichen und diese Angst konnte ihm
nichts und niemand nehmen. Neben der Krebserkrankung war er ja
geplagt von einem ausgeprägten restless-leg-Syndrom, was er
manchmal als die schrecklichere Krankheit empfand.
-
Über
die Wochen, vielleicht sogar Monate, hatte er mich mehr und mehr als
seine Gegnerin empfunden, die seine Ängste nicht verstand, die
nie Ruhe gab mit den Medikamenten. Und ich konnte keine Ruhe geben,
bei dem Elend, das ich dauernd sah und erlebte. Neben all meinen
Ängsten und Sorgen war es mir ein ganz großer Kummer,
dass ich, wenn es so weitergeht, mir dann nur mehr wünschen
würde, dass alles bald ein Ende hat.
-
Eine
Schwester der ambulanten palliativ-care-Einrichtung übernahm
dann die Initiative, fragte ihn ob er in ein Hospiz möchte und
er meinte, er würde lieber daheim bleiben, sähe aber ein,
dass es nicht mehr geht. Ich verhielt mich passiv, sagte nicht ja,
sagte nicht nein, war wie paralysiert vor Entsetzen. Es ging dann
schnell. Hospizplatz war keiner frei, doch bereits für den
kommenden Tag einer im UKE.
-
Es
ist dann unmittelbar darauf, praktisch von einer Minute auf die
andere etwas passiert, was ich nicht für möglich gehalten
hätte, wofür ich unsagbar glücklich und dankbar bin:
wir konnten augenblicklich wieder so zueinander sein, wie wir es
immer waren - liebevoll, zärtlich, zugewandt.
-
Nachdem
die Nächte zuvor ohne Rast und Ruh waren, war es in der letzten
Nacht daheim noch anstrengender für uns beide, dass am Morgen
der schreckliche Abschiedsschmerz von der Wohnung in den Hintergrund
trat. Wir waren fix und fertig und warteten nur mehr auf den
Rettungswagen.
-
Es
würde zu weit führen über die Einrichtung der
Palliativ-Abteilung des UKE zu schreiben. Ich kann nur sagen, es war
für uns die beste Entscheidung und - so kritisch ich bin - es
gibt nichts was ich zu bemängeln hätte.
-
Man
hat mit ihm die Medikamentation besprochen, ihn gefragt ob er mit
den Vorschlägen einverstanden ist, und er akzeptierte alles. So
konnte die schreckliche Unruhe eingedämmt werden, er war nahezu
schmerzfrei, auch seine Panikattacken verbunden mit Luftnot konnten
behoben werden.
-
Man
hatte auch mich immer im Blick, das tat gut.
-
Ich
war täglich viele Stunden bei ihm. Letzten Samstag dachte ich
er würde sterben und blieb die Nacht bei ihm. Dann gab es drei
Tage, in denen ich mir gut vorstellen konnte, dass er noch einige
Monate leben wird. Wir waren in zwei Hamburger Hospizeinrichtungen
angemeldet.
-
Doch
Mittwoch Morgen rief mich die Ärztin an, er sei kaum
ansprechbar, völlig desorientiert und ich möge kommen.
-
Ich
saß dann 27 Stunden neben ihm. Er konnte nicht mehr sprechen,
hat aber durch Hand- und Kopfbewegungen signalisiert, dass er
versteht. Zweimal hat er mir gezeigt, dass er mich umarmen will.
-
Nach
den vielen Stunden hat man mir mehrfach gesagt, ich müsse jetzt
einfach heimgehen und ein paar Stunden schlafen und ich wollte nicht
gehen, konnte aber auch nicht mehr da sitzen. Sie versprachen mir
ständig nach ihm zu sehen und ich fuhr heim. Ich hatte
zweieinhalb Stunden geschlafen, neben mir war das Handy, das
Festnetztelefon und ich habe beide nicht läuten gehört als
man mich vom Krankenhaus angerufen hatte. Die Schwester sagte mir
dann, sie war bei ihm gewesen als sie sah, dass es nun zu Ende gehen
wird. Zu diesem Zeitpunkt rief sie nicht an, weil klar war, ich
würde den Weg nicht schaffen, nicht einmal wenn ich nur im
Krankenhauspark gewesen wäre. Er war im Schlaf gestorben, zu
einem Zeitpunkt als ich auch geschlafen hatte.
-
Man
hat mir dutzendfach erklärt, dass Menschen oft sterben wenn der
Angehörige weg ist, aber ich kann es mir noch nicht verzeihen.
-
Meine
Lieben hier, ich möchte Euch aber auch sagen, dass es nach der
Diagnose noch eine ganz lange Zeit gut gehen kann. Mein Mann erhielt
die Diagnose 1997, bei der Operation stellte sich heraus, dass der
Krebs bereits aus der Kapsel ausgetreten war. Er hatte bis 2005 eine
völlig beschwerdefreie Zeit. Als 2005 das Rezidiv, anschließend
die Knochenmetastasen festgestellt wurden, war er dennoch bis 2011
nahezu ohne Schmerzen. Ich schreibe dies, weil es doch auch Mut
macht, dass man durchaus die Chance hat noch viele Jahre gut zu
leben.
-
Dieses
Forum habe ich 2005 kennengelernt, es war das Jahr, in dem ich das
erste Mal einen Computer hatte. Ich habe im Laufe der Jahre hunderte
Beiträge, Information kopiert und in einer Datei gespeichert,
mir gedacht, vielleicht brauchen wir das einmal. Es gab viele
Beiträge, die habe ich gar nicht verstanden, da fehlen mir
einfach die Voraussetzungen.
-
Aber
wenn ich eine Frage stellte, habe ich immer sofort Antworten
erhalten und dafür bedanke ich mich noch einmal ganz herzlich.
Es war für mich stets ein beruhigender Gedanke hier eine
Anlaufstelle zu haben.
-
Nun
muss ich ohne meinen Mann weiterleben. Er war der liebenswürdigste,
warmherzigste, freundlichste, großzügigste Mensch den ich
je kannte. Einen Tag bevor er starb, sagte er zu einer Schwester,
dass er sich große Sorgen um mich macht, weil ich nun ganz
alleine bin, in Hamburg niemanden habe und ob man sich auch nach
seinem Tod noch ein wenig um mich kümmern würde.
-
Nehmt
mir diesen wahnsinnig langen Beitrag bitte nicht übel.
-
Ich
wünsche Euch – den Kranken, den Angehörigen, alles
Liebe, alles Gute.
-
[In
der Folge berichtete Briele immer wieder über ihren Umgang mit
dem Verlust ihres geliebten Mannes. Dieser sehr lesenswerte thread
kann hier
nachgelesen und weiterverfolgt werden – Ed]
-
-
helmut
(i) schrieb am 17.5.2014 unter dem Betreff "Eine ungewöhnliche
Bilanz":
-
Heute
vor 14 Jahren - am 17.05.2000 - erhielt ich die Diagnose
Prostatakrebs.
-
Dieses
"Jubiläum" ist für mich immer wieder Anlass,
Bilanz zu ziehen, um sowohl die Vergangenheit wie auch die Gegenwart
zu bewerten und die Zukunftschancen einzuschätzen.
-
Die
einzelnen Stationen der Vergangenheit sind im Profil dargestellt,
persönliche Gedanken dazu in diesem Bericht nachzulesen.
-
Es
klingt sicher eigenartig, aber der Prostatakrebs selbst hat mir
bisher keine nennenswerten Beschwerden verursacht, wenn man von den
Nebenwirkungen der primären DHB absieht. Ich habe mich in den
14 Jahren sozusagen an ihn gewöhnt; es hat sich eine
Gelassenheit eingestellt, die mich manchmal selbst verwundert. Ich
betrachte ihn auch nicht als "Feind", den ich "bekämpfen"
muss, sondern als eine Schwachstelle meines Körpers, mit der
ich (bisher) gut zurechtkomme. Oft denke ich wochenlang überhaupt
nicht daran, dass sich in meinem Körper etwas eingenistet hat,
was nicht dort hingehört. Die Gelassenheit resultiert natürlich
im wesentlichen aus meinem Alter (84) und der Tatsache, dass die
Progression langsam verläuft.
-
Es
wird heuer 10 Jahre, dass ich im DKFZ in Heidelberg eine IMRT
durchgeführt habe. Ab 03/11 liegt nach gängiger Definition
ein Rezidiv vor. Mit einem aktuellen PSA-Wert um 6,5 ng/ml
ergibt sich ab Nadir eine durchschnittliche Verdoppelungszeit von
36,5 Monaten, also rund drei Jahren.
-
Ich
habe bisher nichts dagegen unternommen und werde diese Strategie
auch beibehalten. (Erfreulicherweise wird sie von meinem Urologen
unterstützt!). Sie resultiert aus der Überlegung, dass mir
in meinem Alter von Seiten des PK mit größter
Wahrscheinlichkeit keine wirkliche Gefahr mehr droht. Natürlich
gibt es keine absolute Sicherheit. Mein "Risiko" besteht
darin, dass ich evtl. ein sehr hohes Alter erreichen könnte.
Doch dies halte ich aus Gründen, die nachfolgend beschrieben
sind, nicht für erstrebenswert. Meine Lebensqualität wird
durch andere Faktoren stark beeinträchtigt.
-
Eine
seit 20 Jahren bestehende Polyneuropathie hat im Lauf der Zeit zu
deutlichem Muskelabbau, Sensibilitäts- und
Koordinationsstörungen geführt. Stand- und
Gangunsicherheit sowie ein erhöhtes Sturzrisiko sind die Folge.
Erbärmliche allgemeine Schwächezustände legen die
Vermutung nahe, dass die Symptomatik durch eine Sarkopenie (vornehme
Umschreibung für Altersschwäche!) oder andere Ursachen
zusätzlich verstärkt wird. Ich säße vermutlich
schon im Rollstuhl wenn ich nicht seit Jahren intensiv durch
tägliche Gymnastik und wöchentliches Fitnesstraining gegen
den ständigen Abbau ankämpfen würde. Zunehmend zeigt
sich, dass bestimmte Alltagsaufgaben kaum mehr bewältigt werden
können und fremde Hilfe angenommen werden muss. Der Verlust der
Selbstbestimmung – bisher ein abstraktes Schreckensszenario –
wird als Realität konkret spürbar.
-
Selbstbestimmung
und Lebensqualität sind mir wichtiger als Lebensdauer; letztere
verliert an Bedeutung, wenn sie zu Lasten der Lebensqualität
erkauft werden muss.
-
Ich
fürchte nicht den Tod, wohl aber ein langes und qualvolles
Sterben. Ebenso unerträglich erscheint mir der Verlust der
Autonomie mit Fremdbestimmung als Folge.
-
Der
Gedanke, bei den elementarsten Verrichtungen auf fremde Menschen
angewiesen zu sein, ist der pure Horror. Die Vorstellung, in Windeln
und mit Magensonde, in einem Milieu der Hoffnungslosigkeit
dahinzuvegetieren, ist unerträglich. Ebenso unvorstellbar ist
es, den Verfall der Persönlichkeit durch Demenz erleben zu
müssen.
-
Ich
schreibe diese Zeilen nicht, um mein Schicksal zu beklagen, sondern
um zu erwähnen, dass ich in den Strategien gegen Prostatakrebs
und gegen den Verlust der Selbstbestimmung Parallelen sehe, die mir
immer deutlicher bewusst werden.
-
Vorsorge,
intensive Information, konsequente Umsetzung und Disziplin
(natürlich auch ein gewisses Maß an Glück) haben es
ermöglicht, dass ich eine bedrohliche Erkrankung lange Zeit
ohne nennenswerte Einschränkungen überlebt habe.
-
Genau
diese Komponenten sollte man auch anwenden, um die geschilderten
Schreckens-Szenarien im Alter zu mindern bzw. abzukürzen.
-
Ein
Mensch, der ein Leben lang geplant und Verantwortung übernommen
hat, sollte auch sein Ableben in dieses Konzept mit einbeziehen. Die
Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen und einem
drohenden Verfall evtl. aktiv entgegenzuwirken, erfordert klare
Wertvorstellungen, Information und Disziplin.
-
Testament,
Patientenverfügung, Vollmachten und Bestattungsverfügung
sind erste elementare Vorsorgemaßnahmen.
-
Eine
gründliche Information über gangbare Wege, um das Leben
selbstbestimmt zu beenden, wenn es ab einem bestimmten Stadium des
Verfalls nicht mehr lebenswert erscheint, ist ein weiterer
konsequenter Schritt. Es bleibt durchaus offen, ob diese Möglichkeit
dann auch genutzt wird, aber das Wissen um die Realisierbarkeit
bringt Erleichterung und fördert die Gelassenheit für die
restliche Zeit.
-
Es
ist für mich unverständlich, warum Gesellschaft, Staat und
Kirche diesem Thema so restriktiv gegenübersehen. Das Argument
"die Ehrfurcht vor dem Leben" verbiete eine solche Lösung,
erscheint nicht nur unpassend, sondern ausgesprochen heuchlerisch.
Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Leben, wenn dieselbe Gesellschaft
Waffen produziert, Kriege führt, Diktatoren unterstützt
und Menschen in Entwicklungsländern verhungern lässt, um
selbst Macht und Reichtum zu erlangen?
-
Ich
sehe in dem Bekenntnis zur Sterbehilfe einen hohen ethischen Wert,
weil sie vielen Menschen unendliches Leid ersparen würde. Viele
Ärzte in Deutschland wären zu einer Freitodbegleitung
bereit, wenn ihre Standesorganisation es nicht verbieten würde.
-
Es
ist durchaus denkbar, dass die demographische Entwicklung in
absehbarer Zeit eine Änderung dieser Restriktionen schon aus
ökonomischen Gründen erzwingt. Die Zahl der
pflegebedürftigen Senioren steigt dramatisch an, während
qualifiziertes Pflegepersonal bereits heute knapp und unterbezahlt
ist. Die Kosten werden ins Unermessliche steigen, die Pflege wird
weiter an Qualität verlieren.
-
Aufgrund
dieser Überlegungen bin ich im Moment dabei, mich intensiv über
die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Sterbens zu
informieren und habe auch Kontakt zu einigen
Sterbehilfevereinigungen aufgenommen. Ich werde darüber noch
näher berichten.
-
Die
Natur betreibt einen unvorstellbaren Aufwand, um neues Leben zu
schaffen. Jedes Lebewesen, ob Mensch, Tier oder Pflanze ist diesem
Programm unterworfen und es funktioniert seit Jahrmillionen bestens.
-
Aber
die Natur hat keine Vorsorge getroffen, um das "gelebte"
Leben menschenwürdig zu beenden. Das Individuum verliert nach
Erfüllung seiner biologischen Aufgabe an Bedeutung. Es wird
einem kontinuierlichen Abbau ausgesetzt und schließlich –
von Ausnahmen abgesehen – gnadenlos dem Verfall preisgegeben.
Warum beweist die Natur nicht auch am Ende des Lebens ihre geniale
Vielfalt, indem sie ein Ableben ohne Leid, Elend und Verzweiflung
ermöglicht?
-
Es
gibt für mich nur eine logische Antwort:
-
Der
"Sinn des Lebens" besteht ausschließlich in der
Erhaltung der Art, das Individuum ist ohne Bedeutung. Eine traurige
Bilanz?
-
Ich
finde, dies ist nicht zwangsläufig der Fall, wenn wir uns in
unseren Erwartungen ebenfalls auf die Grenzen beschränken,
welche die Natur uns setzt.
-
Wir
haben die Möglichkeit und die Fähigkeit, uns Aufgaben und
Ziele zu setzen, deren Bewältigung uns Befriedigung und
Selbstbestätigung bietet.
-
Wir
sind imstande, Glück, Freude und Dankbarkeit zu empfinden,
können durch das Spenden und Empfangen von Liebe das Leben
bereichern.
-
Wir
haben somit durchaus die Möglichkeit, unser begrenztes Leben so
zu gestalten, dass wir dankbar und zufrieden zurückblicken
können. Dies kann ich für mich vollauf bestätigen.
-
Ich
sehe keinen Grund, das "Nichts" zu fürchten, welches
mich anschließend erwartet. Wir kommen aus dem Nichts und dort
landen wir wieder. Aber der Übergang kann mühsam und
qualvoll werden, deshalb sollten gangbare Wege möglich sein,
dies zu erleichtern.
-
Ich
erwarte nicht, dass diese Gedanken ungeteilte Zustimmung finden.
Aber ich möchte dafür plädieren, das Unvermeidliche
nicht völlig passiv hinzunehmen, sondern sich bewusst zu
machen, dass auch das Lebensende innerhalb gewisser Grenzen
gestaltbar ist und damit möglicherweise viel Leid und Elend
vermieden werden kann.
-
Bernet
schrieb dazu am selben Tag:
-
Vor
fünf Jahren gingen mir die von Dir beschriebenen Gedanken auch
für ein paar Tage durch den Kopf... Mir fehlen zwar noch 30
Jahre Deiner Lebenserfahrung, aber in meinem Umfeld sehe ich bei der
Generation "vor mir" exakt die von Dir geschilderte
Situation.
-
So
wie manch ein PK-Erkrankter bezüglich seiner Behandlung alles
über sich ergehen lässt, verhalten sich auch die
allermeisten Menschen spätestens zum Ende ihres Lebens.
-
Ich
habe Deinen Ausführungen nichts hinzuzufügen. Ich wünsche
dir noch eine gute, beschwerdefreie, selbstbestimmte Zeit.
-
-
Steffi82
hatte über ihren 63-jährigen Vater berichtet, bei dem die
Erkrankung sehr weit fortgeschritten war, mit Metastasen im
Rückgrat. Am 23.7.2014 berichtete sie weiter:
-
Mein
Vati fällt gerade in eine sehr schlechte Stimmungslage, die
letzten vier Wochen brachten keine deutliche Verbesserung – es
wurde als Nebendiagnose ein Querschnittssyndrom mit Paraparese
beider Beine diagnostiziert. Er bereut es, die OP gemacht zu haben
und bezeichnet sich nun als "Krüppel". Wie kann ich
ihm diese Gedanken nehmen und ihn davon überzeugen, dass ohne
OP jetzt alles viel schlimmer wäre? Hat jemand von euch
Erfahrungen mit Paraparese?
-
Hvielemi
schrieb dazu das folgende, für derartige Situationen
Allgemeingültige:
-
Es
ist Dir schon klar, in welch schwieriger Situation Dein Vater steht.
Er ist ein alter Mann, der wohl noch alte Bilder vom Mannsein in
sich trägt. So bezeichnet er sich selbst nun als 'Krüppel'.
Neusprachlich wäre er ein "vom XY-Syndrom Betroffener"
oder so was politisch Korrektes. Das ändert aber nichts daran,
dass er nicht mehr gehen kann und auf fremde Hilfe angewiesen ist.
-
Die
beste Hilfe für Deinen Vater ist, sicherzustellen, dass er
diese Hilfe bekommt, dass er das zu essen bekommt, was er mag, dass
diese Menschen, an denen ihm gelegen ist, ihn besuchen kommen, dass
er die Bücher auf dem Nachttisch hat, die er gerne liest und
die richtige Zeitung.
-
Vergiss
"Basica" und Körpersäure, quäl Deinen Vater
nicht damit, vom Schweineschnitzel abzusehen, zwing ihn nicht,
gesunde Pülverchen anzurühren, statt sein Glas Wein oder
Flasche Bier zu trinken.
-
Er
hat es verdammt schwer, musste sein Zuhause verlassen (für
immer?) und nun ist nicht die Zeit, ihm auch noch die verbliebenen
kleinen Freuden zu entziehen. Klar, wenn er Tomaten mag und gerne
Fisch ist, ist das sicher gesund, damit bekommt er "Lycopin und
Omega-3-Fett". Wenn er das nicht mag, wäre mit einer
Zwangsmahlzeit von Fisch und Tomate wieder ein Stück
Lebensfreude kaputtgemacht.
-
Wenn
er nicht über die Krankheit sprechen will, sprich mit ihm über
seine Themen, von Fussball bis Mathematik oder was auch immer. Wozu
willst Du ihn "davon überzeugen, dass ohne OP jetzt alles
viel schlimmer wäre?" Dazu sind die Ärzte da.
Versuche, seinen beklagenswerten Zustand so zu nehmen wie er ist -
schlecht - und mach das Beste draus.
-
Es
wurde auch "viel Bewegung in frischer Luft" angeraten.
Richtig, aber nicht weil das gegen den Krebs gut sei, sondern weil
das Abwechslung vom drögen Krankenzimmer ist. Klär ab, ob
Ausflüge mit dem Rollstuhl möglich sind, im Spitalgarten
oder auch mit dem Rollstuhltaxi in seine Lieblingskneipe oder an das
Flussufer, an dem er so gerne angelt, oder was immer. Engagier
nötigenfalls einen Pfleger, wenn er das braucht auf so einem
Ausflug.
-
Und
dann wurde geraten "besser wäre Degarelix oder Abarelix
gewesen". Nein, das wäre wohl etwas bequemer gewesen, weil
man das Bicalutamid nicht hätte geben müssen. Ansonsten
sind die Therapien gleichwertig und individuell mehr oder weniger
verträglich (Ich hab mit Firmagon drei Monate lang gekotzt,
andere haben keine Nebenwirkungen). Und die Brustdrüsen muss er
auch nicht bestrahlen lassen, weil er das Bicalutamid ja längst
wieder abgesetzt hat.
-
Du
kannst ihm mit dem Krebs nicht weiterhelfen, aber das Leben mit dem
Krebs kannst Du ihm erleichtern. Aber bitte immer nur als Angebot,
denn in seiner Stimmung kann es möglich sein, dass er den
geringsten Druck als Übergriff versteht und sich dagegen
sperrt. Wenn er Nein sagt, meint er nein, ein 'trotzdem' wäre
Entmündigung. Und das ist das Allerletzte, was ein –
verzeih – "Krüppel" bräuchte.
-
So,
ich hoffe, in meinem Wortschwall wenigstens einen Hinweis gegeben zu
haben, wie Du deinem schwerkranken Vater helfen könnest. Sonst
verzeih bitte, dass ich mich eingemischt habe.
-
Und
silver dollar schrieb am selben Tag zur konkreten Situation:
-
Schwierig,
wenn sich ein Betroffener nicht nur nicht helfen lassen will,
sondern sich teilweise aufgibt. Ohne hier Hoffnungslichter anzünden
zu wollen. Definition Paraparese bezeichnet die beidseitige
inkomplette Lähmung (Parese) eines Extremitätenpaares,
z. B. die Lähmung beider Beine.
-
Inkomplett
bedeutet "nicht für alle Zeiten jetzt schon definiert",
es muss nicht, aber kann sich bessern. Ansonsten ohne OP bei bereits
vorhandener Wirbelsäulenkompression waren der Rollstuhl und das
voraussehbare überschaubare Weiterleben absehbar und damit
keine Option.
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Jule38
berichtete über den Zeitraum von Juni 2013 bis in diesem
thread, wie sie bei ihrem Vater dessen letzte Zeit auf Erden
erlebte.
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Hier
berichtete Binca über die letzten Monate ihres Schwiegervaters
im Zeitraum August bis Oktober 2019.
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