Der Extrakt aus dem Prostatakrebs-Forum von KISP und BPS

Umgang mit der Erkrankung

[Einige Zeit nach der zunächst schockierenden Diagnose wird der Betroffene beginnen darüber nachzudenken, ob, und wenn ja wie, er sich seinem Umfeld – Verwandten, Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen – gegenüber verhalten soll – soll er aus seiner Krankheit kein Geheimnis machen, mit kaum jemandem außer natürlich seinem Partner darüber sprechen oder nur zu einem ausgewählten Personenkreis offen sein? Wie ist es mit den eigenen minderjährigen Kindern?
Es ist nicht möglich, hierzu ein Patentrezept zu geben, denn es kommt zu einem großen Teil auf die persönlichen Umstände an. Trotzdem habe ich nachstehend einige Meinungen hierzu gesammelt.Ed]

Berntt schrieb am 25.3.2009,und löste damit eine umfangreiche Diskussion mit widerstreitenden Meinungen aus, die hier vollständig wiedergegeben ist:
Ich habe mit meiner Frau eine Meinungsverschiedenheit. Meine Frau ist der Meinung, dass ich meine Erkrankung unserem 14 jährigen Sohn mitteilen sollte.
Ich meine, es würde unseren Sohn z. Zt. nur unnötig psychisch belasten.
Zur Situation: Meine Erkrankung ist zwar fortgeschritten, aber ich stehe noch voll im Berufsleben und bin noch nicht stigmatisiert von der Erkrankung (abgesehen von zeitweisen dünnen Haupthaar durch Taxotere im letzten Jahr). Unser Sohn bemerkt zwar, dass ich zeitweise deutlich abgespannt bin, was zum Teil durch den Testosteronentzug aber auch durch die Arbeitsbelastung bedingt ist.
Unser Sohn ist z. Zt. selbst psychisch belastet durch einen Schulwechsel und gefährdeter Versetzung, er ist außerdem gehbehindert.
Ich bin der Meinung, dass unserer Sohn psychisch in eine tiefes Loch fallen würde, wenn ich Ihm von meiner Erkrankung erzähle, zumal er genau weiß, dass Krebs eine ernste Erkrankung ist (Beispielzitat "unserer Lehrer hat erzählt, wenn ein Krebskranker Metastasen hat, kann man schon einen Sarg bestellen, stimmt das Papa?"). Deshalb würde ich ihm erst so spät wie möglich von meiner Erkrankung erzählen, um nicht unnötige Verlustängste bei ihm auszulösen.
Meine Frau meint, ich sollte unserem Sohn meine Erkrankung mitteilen, sonst fühle er sich später praktisch jahrelang betrogen und hätte kein Vertrauen mehr zu uns.
Was ist Eure Meinung, oder kann jemand seine Erfahrung mitteilen ?
Hansjörg antwortete am selben Tag:
Ich bin für Offenheit. Auch wenn Du Deinem Sohn nichts erzählst von Deiner Krankheit, wird er spüren, dass mit Dir etwas nicht stimmt.
Ebenso Klaus48:
Ich möchte annehmen, dass dein Sohn ohnehin schon mehr über die Krankheit weiss, als du glaubst! Warum sollte er sonst so eine Frage stellen?
Ich bin auch für Offenheit den Kindern gegenüber. Verheimlichen kann man in einem gemeinsamen Haushalt ohnehin nicht alles.
Und hartmuth meinte:
Ich sehe das so wie Hansjörg. Du kannst Verwandten oder Bekannten die Sache verheimlichen, wenn Du dies wünschst. Das klappt vielleicht, weil die nicht im Hause wohnen und Dich täglich erleben.
Dein Sohn jedoch wird früher oder später etwas mitkriegen und macht sich dann vielleicht noch mehr Gedanken, wenn der Vater nichts sagen will.
Eine andere Meinung vertrat Patrick, immer noch am 25.3.2009:
ich sehe das etwas anders und hat nichts mit " Kinder anlügen " zu tun. Das Kind hier ist erst 14, befindet sich selbst in einer physischen Krise und dann noch die Belastung... "Papa hat Krebs..."
Meine Meinung wäre, das Thema so gut wie möglich vom Kind fernhalten um es nicht den Todesängsten auszusetzen oder aber schonungslose Offenheit, d. h. mit den Hinweisen was alles passieren kann.
Ich persönlich habe mich erst zwei Tage vor Behandlungsbeginn "geoutet", kann aber verstehen, wenn jemand das anders sieht und es ggf. auch anders haben möchte, da er evtl. auch nicht allein mit der Situation klar kommt.
Wenn der Sohn 17 oder 18 wäre würde ich ggf. auch anders entscheiden, aber mit 14 in der Situation...?
Letztendlich wirst du dich mit deiner Frau auf eine gemeinsame Entscheidung festlegen müssen.
Was aber auf keinen Fall sein sollte ist, das dein Sohn ggf. von Fremden, und dazu zähle ich auch die Verwandtschaft, Kenntnis über deine Krankheit erhält. Das solltest du hundertprozentig ausschließen.
Aus Sicht einer erwachsenen "betroffenen Tochter" schrieb Monika.I:
Ich würde es noch nicht sagen, denn ich bin 36 Jahre, mein Papa ist 56 Jahre, und als ich es erfahren habe, ist für mich eine Welt zusammengebrochen, ich konnte an nichts Anderes denken, meine Kinder´(11) haben dies mitbekommen und haben seither in der Schule auch voll nachgelassen. Ich denke, dass es besser ist, noch nichts zu sagen.
Aus Sicht einer "betroffenen Ehefrau" und Mutter Anemone:
Nach meinen Erfahrungen kann ich Euch nur raten, Euren Sohn nicht mit der Diagnose zu belasten. Meine Kinder sind 10, 13 und 20. Meine Mutter und Schwester sowie mein Mann haben Krebs. Zuerst hatte meine Schwester vor drei Jahren die Diagnose erfahren, dann meine Mutter, die schon sehr durch die Krankheit gezeichnet war. Beide Krankheitsgeschichten haben meine Kinder mitbekommen. Als ich dann letztes Jahr mit Verdacht auf Schildrüsenkrebs operiert werden musste, habe ich lange gezögert, es meinen Kindern mitzuteilen. Leider tat ich es dann doch. Meine Kinder waren bereits so traumatisiert durch die Krebsdiagnosen der Verwandten, dass diese unglaubliche Ängste um mich ausgestanden haben. Die waren völlig fertig. Und es war nur der Verdacht, der sich nicht bestätigte.
Als jetzt mein Mann erkrankte, haben meine Kinder den "Rest" bekommen. Um es kurz zu machen. meine Kinder fragten laufend, ob mein Mann sterben müsste (und man kann ja leider nicht immer eindeutig nein sagen). Laufend kamen meine Kinder plötzlich an und fragten mich ob irgendwelche harmlosen Symptome "Krebs" sein könnten. Ob sie selbst Krebs bekommen könnten etc. Also zu der Sorge um Angehörige kam die Angst um den eigenen Körper. Wenn ich nur sage, ich muss zum Arzt, ist die nächste Frage, ob ich was Schlimmes hätte.
Es sind doch noch Kinder und die möchte man doch, so gut es geht, schützen.
Man wird spüren, wenn der rechte Zeitpunkt kommt. Man muss bei Kindern immer damit rechnen, dass sie Fragen stellen, die man selbst nicht beantworten kann. Das führt zu einer ungeheuren Verunsicherung. Wenn ein Kind fragt, ob man geheilt wird, was will man im Zweifelsfall antworten? Eltern sind die Basis für ein gesundes Aufwachsen der Kinder, die Stabilität und sicherer Anker. So lange wie möglich und vertretbar sollten wir den Kindern diese Basis schenken.
Tochter75 meinte:
Ich würde einen Mittelweg wählen:
Die meisten Angehörigen, egal ob Kinder oder Erwachsene, sind sehr feinfühlig und merken, wenn etwas nicht stimmt. Oft wissen sie es sehr genau, aber bis die ersten Fragen kommen, vergeht Zeit und es sind sehr zaghafte Fragen. Ich würde sehr sensibel auf eventuelle Fragen, auch versteckte, achten und die dann sehr ehrlich beantworten, aber immer so, dass genügend Hoffnung bleibt.
Auf keinen Fall würde ich auf eine direkte Frage, z. B. "Papa, ist mit dir alles in Ordnung?" lügen, sondern wohldosiert die Wahrheit langsam einträufeln lassen. Man muss ja nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen, aber eine Lüge würde schnell durchschaut werden und die würde den Jungen vermutlich noch mehr belasten, weil er dann grübeln könnte, was wohl so Schreckliches ist, dass ihm nicht offen geantwortet wird. Die schlimmste Wahrheit ist oft besser als die quälende Ungewissheit, die einen von innen auffrisst.
Wenn er nicht fragt, würde ich ihn dennoch gut im Blick behalten, ob er nicht doch etwas ahnt und wenn das so ist, ihn selbst fragen, wie es ihm geht, was in ihm vorgeht.
Tinka, deren Ehemann an Prostatakrebs gestorben war, schrieb, an Berntt gewandt, am 26.3.2009:
Ich würde sagen, dass es grundsätzlich aufs Kind ankommt. Mit Sicherheit gibt es Kinder, die die Wahrheit nicht gut vertragen, vor allem, wenn sie anderweitig vorbelastet sind. Du kannst Deinen Sohn am besten einschätzen.
Wir waren mit den Kindern immer offen, haben nie etwas verschwiegen, das wäre auch gar nicht gegangen. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren sie sechs und acht Jahre alt, und als Michael starb gerade mal acht und zehn. Ein nicht offener Umgang mit ihnen wäre für uns niemals in Frage gekommen, dafür konnten und können wir auch gar nicht gut genug schauspielern. Gerade Kinder haben so feine Antennen und den Vorwurf "Warum habt Ihr uns damals angelogen/alles verschwiegen?" würde ich mir niemals von meinen Söhnen anhören wollen.
Durch den offenen Umgang mit der Krankheit, den Verfall und letztlich den Tod und die Trauer hatten wir alle einen sehr guten Weg, auch wenn er hart war und ist. Aber, wie gesagt, entscheiden musst Du das ganz alleine, wir kennen Deinen Sohn ja nicht.
Denke nicht nur an das Heute, sondern auch an das, was in Zukunft sein könnte und ob es im späteren Leben für Deinen Sohn eine große Belastung sein könnte, dass er aus diesem Teil Eures gemeinsamen Lebens ausgeklammert wurde.
(Die Ehefrau von) FranzHeinrich schrieb, ebenfalls am 26.3.2009:
Du schreibst über Euren Sohn:
Zumal er genau weiss, dass Krebs eine ernste Erkrankung ist (Beispielzitat " unserer Lehrer hat erzählt, wenn ein Krebskranker Metastasen hat kann man schon einen Sarg bestellen, stimmt das Papa?"). Deshalb würde ich ihm erst so spät wie möglich von meiner Erkrankung erzählen, um nicht unnötige Verlustängste bei ihm auszulösen.
Ich denke, diese Ängste hat er schon und daher hat er vielleicht seine eigenen Ängste seinem Lehrer "in den Mund" gelegt? Ansonsten wäre es schon recht heftig, wenn ein Lehrer solche Sätze verkünden würde und Kindern die Hoffnung und das Vertrauen so pauschal und unqualifiziert zerstört. Vielleicht wäre Eurer Sohn sehr froh mit Euch darüber sprechen zu können.
So wie ich Deine PK-Historie gelesen habe, weiß oder ahnt Euer Sohn viel mehr als Ihr glaubt.
Ich habe auch einen Sohn, und mein Mann ist an den Folgen von Blasenkrebs gestorben. Wir Drei haben das von Anfang bis Ende gemeinsam durchgestanden. Bei allen Belastungen war es auch eine wirklich gute Erfahrung, dass wir es gemeinsam "aushalten" konnten.
Aber eigentlich möchte ich keinen konkreten Rat geben, Ihr als Eltern kennt Euren Jungen am allerbesten!
Ihr trefft bestimmt eine gute Entscheidung.
Olli Tho-Jo schrieb am 27.3.2009:
Ich habe meiner Tochter, 13, gar nichts verheimlicht, sondern bin ganz offen mit dem Thema umgegangen. Ich habe durch meine Tochter etwas erfahren, was ich niemals missen möchte: Kinder können auf ganz einfache Weise mehr Trost spenden als jeder Freund und gar die Ehefrau/Lebensgefährtin, durch ihre bedingungslose Liebe. Das hat mir sehr geholfen und mir für vieles die Augen geöffnet! Schicksalsschläge (und dazu zähle ich hier mal Krebs) schweißen zusammen, und wir sind gestärkt in die Situation hinein gegangen.
"Strahlentherapeut" Daniel Schmidt antwortete Berntt aus Arztsicht am 31.3.2009:
Ich denke grundsätzlich, dass man mit den Kindern offen sprechen muss. Allerdings hängt es natürlich davon ab, wie die jetzige Erkrankung ist und wie die Aussichten auf Heilung sind.
Bei der geschilderten Erkrankung im Profil, handelt es sich um einen hormonrefraktären Prostatakrebs, der auch auf die Chemotherapie nicht sonderlich angesprochen hat.
Dass die Aussichten dementsprechend nicht rosig sind, denke ich, ist klar. Die Zeit, die bleibt, ist nicht sehr lang. Das muss man einfach so sehen und man sollte davon einfach ausgehen.
Nun ist die Frage was das Beste für den Sohn ist. Weiter nichts zu wissen, bis an einem Tag der Vater im schlechten Allgemeinzustand im Krankenhaus liegt und das Ende relativ nah ist?
Oder sollte der Sohn wissen worum es geht, so dass er die Zeit, wo es dem Vater noch gut geht, mit ihm sinnvoll gestalten kann?
Eventuell wird das Verhältnis zum Sohn besser, wenn die Krebserkrankung angesprochen wird. Eventuell merkt der Sohn auch, dass er seine Probleme packen muss, weil es eben auch größere Probleme in der Familie gibt.
Man kann auch über später reden, welche Aufgaben der Sohn übernehmen möchte, was er mit seinem Leben anfangen will, was er schon immer mit seinem Vater besprechen wollte, aber vielleicht nie die Chance oder den Mut hatte.
Ganz klar kann die Konfrontation des Sohnes mit der Erkrankung des Vaters jetzt eine schwere Hürde sein. Ganz klar kann ihn diese auch traumatisieren. Aber wie soll denn der Sohn den Vater in Erinnerung behalten? Als jemand der offen war und die Sachen angesprochen hat oder als jemanden, dem es auf einmal ganz schlecht ging und kurz darauf alles vorbei war?
Es gibt Psychologen, die in solchen Situationen auch hilfreich sein können. Man kann auch solche Hilfe in Anspruch nehmen.
Am 11.4.2009 schrieb AnnChristin, wieder aus Sicht einer "betroffenen Tochter":
Ich schreibe aus der Sicht einer Tochter. Als bei meinem Vater 1999 Prostata-Ca festgestellt wurde war ich 14 Jahre alt. Meine Eltern haben mir die Erkrankung nie verschwiegen und das finde ich auch im Nachhinein genau richtig. Wir hatten immer ein sehr enges, liebevolles Familienleben und ich hätte die Sorgen und Ängste bestimmt mitbekommen.
Es ist schwer, verdammt schwer, als Kind mit so einer Diagnose zu leben. Die Angst um meinen Vater hat mich all' die Jahre begleitet. Dennoch denke ich, konnte ich ihm auch helfen. Ich habe ihm Mut zugesprochen, habe mich viel mit der Krankheit beschäftigt, neue Therapien gesucht und ihm gezeigt, was man zusätzlich zur normalen Medizin machen kann. Gerade hier im Forum habe ich viele nützliche Ratschläge bekommen.
Letzendlich musst du selbst entscheiden ob du es deinem Sohn sagen wirst und wenn ja, wird es nicht leicht für ihn. Aber man kann nie wissen, wie die Krankheit verläuft und wann es vielleicht irgendwann doch nicht mehr weiter geht. Für deinen Sohn wäre es aus meiner Sicht sehr wichtig, jede Minute mit seinem Vater zu genießen und zu leben.
So eine Diagnose erschüttert das Leben und es ist nichts mehr wie vorher. Aber man kann als Familie auch viel daraus lernen und noch enger zusammen wachsen.
Ich bin dankbar, dass ich auch nach Diagnose noch viele schöne Jahre mit meinem Vater hatte und sie, auch immer bewusst mit dieser Erkrankung, gelebt und genossen habe.
WolfgangB schrieb am 13.4.2009:
Kinder haben ein eigenes Gespühr dafür, wenn es einem Elternteil nicht gut geht, von daher ist es nicht ratsam den Kindern etwas zu erzählen, was dem, was signalisiert wird, nicht entspricht. Zuzugeben, dass man krank ist, wird von Kindern als ehrliche Antwort empfangen. Auf die Frage, wie schlimm, ist es durchaus legitim zu antworten, ich weiß es nicht, bis ich es weiß, habe ich aber ein bisschen Bammel, aber ich habe ja euch. Als ich meinen Schlaganfall hatte, hat mein siebenjähriger Sohn mich gefunden, und ich kam in Erklährungsnot, aber der Hinweis, es geht vorbei, hat enorm beruhigt. Ich war 34 bzw 36 Jahre alt, als meine Eltern starben und trotz einer gewissen Reife hat es mich umgehauen, weil sie zu dem Zeitpunkt beide erst um die 60 waren. Der Zeitpunkt, an dem es nicht zu übersehen ist, ist früh genug mit der Wahrheit rauszurücken, aber nie abstreiten, dass Du krank bist.
Am selben Tag schrieb jürgvw:
Als ich im September 2000 meine Diagnose bekam (PSA > 200, LK-Metastasen), da gab es bei uns sofort eine "Familienversammlung", das heisst, die beiden Töchter schwirrten aus allen Richtungen zu meiner Frau und zu mir. Dass die damals 7 Jahre alte Enkelin dabei war, das betrachteten wir alle als selbstverständlich.
Zugegeben, die Stimmung war damals gedrückt, vor allem meine Frau litt sehr unter dem ärztlichen Bescheid. Ob die Enkelin damals ganz genau begriff, um was es letzlich ging (oder hätte gehen können), das muss ich offen lassen. Sie ist aber seither sehr interessiert, darüber im Bild zu sein, wie es mir geht (ich muss ihr jeweils die neusten PSA-Werte per SMS senden), und sie spricht auch ganz gern mit mir über die Krankheit.
Nie habe ich das Gefühl gehabt, man hätte sie damals im Herbst 2000 ausschliessen sollen, sondern ich bin überzeugt, dass sie uns das übel genommen hätte.
Was bleibt: Alle Menschen reagieren anders, und was bei meiner Enkelin richtig war, das könnte bei Deinem Sohn falsch sein. Obwohl ich glaube, es würde ihm nichts schaden, nicht plötzlich vor einer Katastrophe stehen zu müssen. Meiner Eneklin, die jetzt 16 ist, könnten wir übrigens nichts vormachen; die würde misstrauisch werden...
Günter55 schrieb am 15.4.2009:
Ich kenne leider beide Seiten. Mein Vater erkrankte, als ich 13 Jahre alt war und starb, als ich 17 Jahre alt war, allerdings nicht an Krebs. Man hat mir so ziemlich alles bis zu seinem Tod verheimlicht. Aber ich habe viel geahnt und manchmal fürchterliche Verlustängste gehabt, die mich bis heute in Form von Alpträumen verfolgen. Da die Erkrankung meines Vaters aber konsequent verschwiegen oder verniedlicht wurde, konnte ich mit niemandem über meine Ängste reden und konnte auch nie Abschied nehmen.
Als ich vor zwei Monaten die PK-Diagnose erhielt, habe ich meine beiden Söhne sofort davon unterrichtet. Sie sind allendings schon über 18 Jahre.
Glaube mir, dein Sohn ahnt, was los ist, kann es aber nicht einschätzen. Es wird ihn sein ganzes Leben begleiten. Im Zweifelsfall solltest du dir Hilfe holen. Google mal nach Psycho-Onkologische Beratungsstellen. Diese beraten auch Angehörige.
Am 21.5.2009 meldete jürgvw sich wieder zum Thema:
Das Problem, welches Du zur Diskussion gestellt hast, beschäftigt auch Spezialisten in den USA, welche eine Studie an der Georgetown University veröffentlkicht haben. Du findest sie unter http://www.journalonko.de/newsview.php?id=3301 und das Ergebnis könnte mithelfen, Dein Problerm zu lösen.
Am 12.6.2009 meldete sich wieder eine "betroffene Tochter", SabiMa:
Ich würde das meinem Kind noch nicht sagen, ich bin zwar nicht dafür, dass man die Kinder anlügt, aber ich weiß, wie es sich anfühlt. Als ich erfahren habe, was mein Papa hat (16) war ich total zerbrochen. Ich habe Nachts nur geweint, und in der Schule hatte ich ganz schlechte Ergebnisse, ich habe mich sogar einmal mit meine Klassenlehrerin gestritten, weil sie mir helfen wollte und ich wollte das nicht. Wenn dein Sohn jetzt auch psychische Probleme erlebt, dann solltest du ein bisschen noch warten bis diese Probleme vorbei sind.
Am 28.6.2009 schloss Berntt die Diskussion wie folgt ab:
Vielen Dank für Eure Beiträge. Die Beiträge von Anemone und Sabima stellten genau meine Befürchtungen dar.
Vor ca. 2 Wochen habe ich meinem Sohn von meiner Erkrankung erzählt. Wir haben uns lange in den Armen gelegen und geweint. Natürlich hat er große Angst vor der Zukunft.
Nun kennt er persönlich keine Männer mit Prostatakrebs und deren Verlauf. Als ich ihm erzählte, dass auch "James Bond" (Roger Moore, Sean Connery) und ein Schauspieler aus dem "A-Team" (Dirk Benedict) seit Jahren mit Prostatakrebs leben, ebenso Berlusconi und Robert de Nero, hat ihn das tatsächlich beruhigt.
Die Entwicklung seit meinem Geständnis hat mich überrascht. Unser Verhältnis hat sich seitdem gebessert, er ist überhaupt sich depressiv geworden. Natürlich spürt er Unsicherheit vor der Zukunft, was sich aber nicht in einer gedrückten bzw. depressiven Stimmung äußert. Das Gegenteil ist eher der Fall. Und wir können jetzt endlich offen reden.
Nochmals Dank an Alle. Ich bin selbst auch froh, dass es endlich raus ist.

Hope2011, eine "betroffene Ehefrau" fragte am 21.5.2011:
Mich würde interessieren zu hören, welche Erfahrungen jüngere Betroffene gemacht haben, als sie Anderen von ihrer Erkrankung erzählten (Familie, Freundeskreis, Arbeitsplatz...). Haben sie es im Nachhinein bereut, so offen gewesen zu sein, oder war es sogar hilfreich für die Bewältigung? Mit Ende 40 ist die Diagnose doch noch selten und löst beim Gegenüber evtl. stärkere Reaktionen aus, befürchte ich zumindest....
jürgvw antwortete am selben Tag:
Zwar gehörte ich im Zeitpunkt der Diagnose nicht mehr zu den jüngeren. Aber meine Erfahrungen sollst Du trotzdem kennen. Ich informierte natürlich die Familie (engerer Kreis, also jene, mit denen man immer wieder zusammenkommt). Im Betrieb den Vorgesetzten und die engsten Mitarbeiter und schliesslich die guten Freunde. Schlechte Erfahrungen habe ich nie machen müssen.
Ebenso PeterP:
Die Sache ganz zu verschweigen dürfte schwierig sein. Krankenhaus, Therapien, Reha etc. werfen im privaten und beruflichen Umfeld Fragen auf, denen eigentlich nur mit ausweichenden oder falschen Antworten zu begegnen ist. Die Personen, die Deinen Mann aber näher kennen, werden ohnehin an seinem eigenen Verhalten merken, dass da mehr dahintersteckt. Auf Dauer dürfte das nicht funktionieren, und es dürfte auch der eigenen Psyche nicht gut tun.
Umgekehrt macht auch ein großes Hinausposaunen der Krankheit keinen Sinn, es wird sich sowieso herumsprechen. Nach meiner Erfahrung vermeiden die Leute, die nicht mit diesem Thema umgehen können, auch Fragen dazu – und diejenigen, die es können, sprechen einen taktvoll an. Aber es kommt am Arbeitsplatz natürlich auch immer auf die individuelle berufliche Situation oder Position an, wie viel man diesem oder jenem erzählen kann oder besser auch nicht.
Ich war sogar überrascht, von wieviel Leuten ich aus Bekannten- und Kollegenkreis um persönlichen Rat gefragt wurde. Sogar von Kolleginnen, deren Männer betroffen sind! Die Krankheit ist eben doch sehr verbreitet, auch wenn die Betroffenen meist etwas älter sind.
Günter55 schrieb am 22.5.2011 rigoros:
Auf jeden Fal outen! Es entlastet dich und deinen Mann. Ihr müsst euch nicht mehr fragen, weiß er's oder weiß er's nicht (der Andere natürlich). Ein paar dumme Antworten gibt es so oder so. Oder irgendwelche Gerüchte könnt ihr ersticken. Die meisten Reaktionen waren mehr als positiv. Sie haben mir in vielen dunklen Stunden geholfen. Ich habe ein neues, anderes, positives Verhältnis zu alten Freunden wieder gefunden.
Eine konträre Meinung vertrat am 23.5.2011 ngawas:
Ich für mich habe entschieden, mich nur gegenüber meinen nächsten Verwandten zu outen und mir versprachen, Stillschweigen zu bewahren, da ich mehrfach unangenehme Erinnerungen in einer anderen Sache hatte, die mich läuterten. So ist es nicht nur einmal vorgekommen, dass man mich quer über die Straße fragte, nein schon fast brüllte: "Ei, was macht denn dein ....?" Dieses "liebvolle" Nachfragen nach der persönlichen Situation ist häufig genug die pure Neugier und möglicherweise auch Missgunst, die mich haben erschrecken lassen, künftig anders mit solchen Situationen umzugehen.
Ich stehe – zwar nur gering, aber doch etwas – in der Öffentlichkeit und lebe in einem kleinen Dorf, von dem ich mir nicht verspreche, dass mein Outen etwas Positives bewirken könnte. Dieser Tratsch zieht dann schon sehr schnell weite Kreise und man wird zweifellos stigmatisiert. Dies wollte ich mir – bisher erfolgreich – ersparen. Selbst die größten "Brüller über die Straße" haben nichts mitbekommen. Gegenüber einer kleinen Anzahl Arbeitskollegen habe ich mich aber dennoch geoutet, da ich 1. der festen Überzeugung bin, dass sie nicht tratschend alles breit treten, und 2. denen auch eine Hilfestellung anbieten wollte, falls Sie selbst zu einer Diagnose Prostatakrebs kommen.
Wesentlich scheint mir nur die individuell zu beantwortende Frage zu sein: "Warum sollte ich mich outen?".
Am selben Tag schrieb Ernstt:
Ich habe mich auch freimütig geoutet – aus den oben genannten Gründen. Inzwischen nervt es mich doch manchmal, wenn man mich mit großen Augen fragt: UND, wie geht es Dir/Ihnen GESUNDHEITLICH??? Wenn ich dann sage, "gut", werde ich zudem manches Mal ungläubig gemustert. Darauf kann ich gern verzichten, aber kann es auch wegstecken. Das ist dann eben mit der Krankheit auch vermacht und vielleicht das kleinste Übel. Überlegen würde ich aber heute schon etwas genauer, wem bzw. wem nicht, ich es sagen würde.
Ausführlich antwortete, ebenfalls am 23.5.2011, Detelev vK:
Du hattest nach den etwas Jüngeren gefragt: ich war 54, als ich von der Diagnose erfuhr. Also noch nicht "so" alt.
Ich halte "Outen" für den besseren Weg, wobei ich das Wort selbst als nicht besonders positiv empfinde, ich würde eher formulieren, dass man "offen" mit der Diagnose und der Krankheit umgehen sollte. Wobei immer zu berücksichtigen ist, wie man sich selber dabei fühlt.
Meine eigene Erfahrung ist:
Meine Familie, meine Freunde und Bekannten, meine Arbeitskollegen finden es durchweg gut, dass sie Informationen bekommen haben; um es genau zu sagen, ich hatte bisher keine einzige negative Erfahrung machen müssen. Im Gegenteil! Durch den vielen Zuspruch, den ich bekommen habe und noch bekomme, bin ich in der Lage, sehr viel positiver in die Zukunft zu schauen.
Ein Weiteres: meinem Arbeitgeber bin ich es schon insofern schuldig, als dass er meine krankheitsbedingten Fehlzeiten einordnen kann. Gleichzeitig gebe ich ihm Gelegenheit, mich nicht unwissentlich zu überpordern.
Ich bin der Meinung, jeder der mich kennt und nach mir fragt oder jeder, der mich kennenlernen möchte, sollte wissen, dass ich Krebs habe. Es ist ein Teil von mir. So wie mein Humor ein Teil von mir ist, oder andere Sachen eben. Mich bekommt man nur "mit dem Tumor". Ob meine Ansicht auf jeden anderen übertragbar ist wage ich zu bezweifeln. Dies muss jeder für sich selber ausmachen, wichtig ist ja nur, das er sich mit seinem Verhalten wohl fühlt. Und ich glaube, dass ich mit meiner "Offenheit" auch positiv auf andere wirke; bei ihnen nicht den Eindruck erwecke, ich würde mich aufgeben.
Es gab eine Zeit, in der ich sehr viel in mich "reingefressen" habe. Mich nicht "offen" dargestellt habe. Erst als meine Psyche kaputt war, habe ich erfahren müssen, dass dies der falsche Weg war. Und ich habe sehr lange gebraucht, um da wieder rauiszukommen. Jetzt weiß ich für mich: "offen" ist der bessere Weg. Ich fühle mich "offen" sehr viel wohler. Für mich selber und für meine Psyche gilt: ich muss mir keine Gedanken darüber machen, wem ich wieviel oder was erzählt habe; ich muss mich nicht damit belasten, vieviel ich verschweigen muss oder was ich mitteilen kann oder darf. Ich bringe einen "Gegenüber" nicht in die Verlegenheit, vielleicht aus Unwissenheit etwas Falsches zu sagen.
Natürlich sollte man mit seiner Krankheit, mit seinem Befinden nicht hausieren gehen. Andererseits sollte man aber auch auf die Frage, wie es einem geht, einfach das sagen können, was man in dem Moment empfindet. Man muss nichts beschönigen, man muss auch nicht übertreiben. Nicht immer wird der Gegenüber passende Antworten finden, manche sind vielleicht auch damit überfordert. Aber in erster Lnie geht es doch zunächst um einen selbst. Und da sollte man in sich hineinhorchen und sich fragen, wie es einem selber am besten geht, mit Offenheit oder mit Verschwiegenheit. Und offen damit umgehen heißt ja nicht um Mitleid betteln. Offen damit umgehen heißt einfach nur selbstbewusst zu sein, vielleicht auch zeigen, dass man den Krebs besiegen möchte. Oder wenn es einem gerade schlechter geht sagen, dass man gerne in Ruhe gelassen werden möchte.
Wenn einem ein Mensch begegnet, der mit einem Gipsbein mehr schlecht als recht an Krücken läuft, ist jedem sofort klar: diese Person ist krank, ist zum Teil behindert, hat Schmerzen, braucht vielleicht Hilfe. Diese Person kann seine Krankheit im Grunde nicht verheimlichen, wenn er am öffentlichen Leben teilnimmt. Warum sollten wir Krebskranke es also tun? Es steht zunächst mal nicht auf unserer Stirn geschrieben. Also, nur weil man es uns nicht automatisch ansieht, sollte man es verheimlichen? Ich denke nicht.
Natürlich soll auch niemand über seinen Schatten springen. Sich mitteilen heißt natürlich auch immer, etwas von sich Preis zu geben. Wenn man davor Hemmungen hat, sollte man diesem Gefühl auch Rechnung tragen. Wie schon erwähnt: es ist wichtig, wie man sich selber dabei fühlt.
Am 8.11.2017 beleuchtete LowRoad das Thema von der anderen Seite mit der Frage „Was sagt man zu einem Krebspatienten (besser nicht)?“ Er löste damit eine interessante Diskussion aus:
Die Welt der Krebspatienten und Gesunden ist eine grundlegend andere, wo Kommunikation über die Grenzen oft schwer fällt. Für Gesunde ist es offensichtlich nicht nachvollziehbar, wie sich ein Krebspatient fühlt. "Wie geht es dir" – die wohl am häufigsten gebrauchte Floskel einer erweiterten Begrüßung. Man erwartet als Standardantwort natürlich "Gut", was für einen Krebspatienten niemals zutreffen kann. Mit Krebspatient meine ich nicht Menschen die vom Krebs höchstwahrscheinlich geheilt sind, sondern solche die eine sichere Todesprognose erhalten haben.
Immer vorausgesetzt, man weiß von der Situation des Gesprächspartners, kann man jetzt noch viel mehr falsch machen, wenn man auf die zögerliche Antwort des Krebspatienten "es geht" antwortet:
Ist das nicht furchtbar? Was also tun, wenn einem das "Wie geht es dir" so herausgerutscht ist? Immer an die Grundregel bei der Kommunikation mit Krebspatienten denken: Zuhören, zuhören, zuhören. Man könnte die Begrüßungsfloskel erweitern: "Wie geht es dir – heute? Möchtest du darüber reden?" Das klingt doch schon viel einfühlsamer und erfüllt die Grundregel – Zuhören.
Grundsätzlich sollte man sich immer bewusst sein, dass man in unterschiedlichen Welten lebt. Niemals versuchen, als Blinder von der Farbe zu berichten und gute Ratschläge zu geben wie etwa:
Nun, die Liste ist fast beliebig zu erweitern, viele hier im Forum werden das kennen. Deshalb behält man seine Situation eher für sich, um solchen unbeholfenen Dummheiten zu entgehen. Das sollte man aber auch nicht übertreiben, man braucht schließlich Mitstreiter, auch außerhalb des Forums!
Georg_ kommentierte am selben Tag:
Da habe ich eine etwas andere Meinung. Wenn mich jemand fragt wie es mir geht, so sage ich "gut", weil ich das die meiste Zeit subjektiv so empfinde. Und wenn mir jemand Ratschläge gibt, so sehe ich das auch positiv, er nimmt ja Anteil an meiner Situation, auch wenn die Ratschläge meist nicht hilfreich sind.
Wenn mich jemand fragen sollte, wie lange ich lebe, würde ich zurückfragen: "Und wie lange lebst Du?". Das weiß er genausowenig wie ich.
Irgendwo habe ich eine Kritik an Studien gelesen, die auf amerikanischen Datenbanken basieren. Da wurde angemerkt, dass wohl irgendwo ein Fehler sein muss, denn in den Studien lebten die Prostatapatienten länger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Aber vielleicht ist es doch so.
Natürlich ist jeder Prostatapatient in einer anderen Situation und wird das entsprechend wieder anders sehen.
Ebenso Muggelino:
Ich habe verschiedene Arten des Umgangs mit einem Krebskranken kennengelernt:
1. Die Vermeider. Sie sind froh, wenn der Krebs gar nicht erwähnt wird. Falls doch, wechseln sie schnell das Thema. Auf höfliche Nachfragen wie "Und sonst, alles in Ordnung?" mit diesem Unterton von "du weisst schon, was ich meine" hören sie am liebsten ein einfaches "Ja".
2. Die Verharmloser. "Du wirst bestimmt uralt." "Mein Nachbar hat auch seit 15 Jahren Prostatakrebs, dem geht es prima." "Du siehst doch ganz gesund aus." "PSA von 1,2? Das ist doch fast gar nichts. Hattest du nicht mal einen von 85?" Fast wünscht man ihnen die gleiche Diagnose.
3. Die Dramatisierer. "Oh, wie schrecklich!" "Das tut mir so leid!" "Hast du große Schmerzen?" "Mein Neffe hatte Lungenkrebs, nach 6 Monaten war er tot." Am Ende möchte man sie trösten.
4. Die Witzbolde. "Nun gönn dir mal was. Willst doch die letzten Jahre nicht nur rumkrebsen, oder?" Hahaha.
5. Die Helfer. "Da gibt es einen indianischen Tee, der soll auch Krebs heilen." "Ich hab im Internet eine Klinik in der Schweiz gefunden, da solltest du sofort hinfahren!" Und wenn man ihre Ratschläge nicht befolgt, ist man selbst schuld, wenn man am Krebs verstirbt.
War ich im ersten Jahr dankbar für jeden, mit dem ich darüber reden konnte, so verschweige ich die Krankheit heute am liebsten.
Was nicht immer einfach ist. Ist doch die Frage nach dem Beruf meist die erste. "Rentner? Dafür bist du doch noch zu jung. Erwerbsminderungsrente? Was hast du denn?" "Wieso denn vegane Ernährung? Bist du so tierlieb?"
Aber wenn ich ehrlich bin: vor meiner Diagnose stand ich dem Thema genauso hilflos gegenüber.
Wolfjanz schrieb:
Die "Vermeider" fahren wohl noch am besten..
Kreisen die Gedanken nur noch um den Krebs, dann bist du im Hamsterrad, die PSA-Psychokeule lässt grüßen.
Ich, für meinen Teil, versuche so wenig wie möglich an die Krankheit zu denken, lebe den Moment und wie Hvielemi zu sagen pflegt: Carpe Diem))
Man könnte noch hinzufügen: "Memento Mori"
noname:
Mir ist es am liebsten, sobald jemand weiß, dass ich erkrankt bin einfach nichts dazu sagt. Und wenn ich die Sache von mir aus anspreche, weil ich das Bedürfnis dazu habe, dann erwarte ich Sachlichkeit und am besten keine großartigen Emotionen.
Und so lange der Krebs nicht so richtig körperlich weh tut, ist das ganze noch nicht sooo schlimm,... leider weiß ich von meinem Vater, dass er am Ende sehr gelitten hatte (Schmerzen, Knochenmetastasen, Knochenbruch), ...davor graust mir ehrlich schon.
...
Ich denke auch gerne an meinen OP-Nachbarn, er war 10 Jahre älter als ich, aber auch noch keine 60 Jahre alt. War US-Soldat in der Army und hat mehrere Kriegseinsätze überlebt und diesmal hat er mit seiner Krankheit eben einmal Pech in seinem Leben gehabt.
Er sagte auch häufig zu mir "Schlimmer geht immer".
Am 9.11.2017 schrieb LowRoad wieder unter dem Betreff „Du musst kämpfen“:
"Das sagen Ärzte und Angehörige und alle, die es gut meinen mit dem Krebspatienten. Doch oft machen sie dem Kranken das Leben so noch schwerer – und das Sterben auch.
Einmal, es ist schon lange her, da habe auch ich diesen Satz gesagt: 'Du musst jetzt kämpfen!' Keinen anderen Satz meines Lebens bereue ich so sehr wie diesen.
Dabei ist es ein Allerweltssatz, der an Popularität in all den Jahren seither nichts eingebüßt hat und gewiss gerade auch heute irgendwo fällt, und das in bester Absicht. Jetzt musst du kämpfen – das ist die reflexartige Antwort der allermeisten Menschen, wenn ihnen ein Freund, Kollege oder naher Verwandter offenbart, dass er Krebs hat. Es ist der Versuch die Todesangst zu verdrängen und stattdessen in die Gegenoffensive überzugehen, wenigstens rhetorisch Krebs und Kampf scheinen sprachlich und gedanklich zusammenzugehören wie Angriff und Verteidigung. Was könnte man dem Patienten auch Besseres zurufen als diesen optimistischen Apell, jetzt bloß nicht den Mut zu verlieren, sondern alle Abwehrkräfte zu mobilisieren und den entschlossenen Kampf gegen die schreckliche Krankheit aufzunehmen? Es klingt so plausibel. Doch nicht alles, was sich richtig anfühlt, ist klug und hilfreich. Tatsächlich ist dieser Satz und der Gedanke, der sich damit verbindet, eine Katastrophe. Er hinterlässt oft eine Schneise der Verwüstung in den Seelen todkranker, leidender und sterbender Menschen. Er vergrößert den Kummer und verschlimmert das Leid. Höchste Zeit für ein Plädoyer gegen die Kampfrhetorik am Krankenbett."
So beginnt ein, wie ich meine, bemerkenswerter Artikel in der FAZ vom 29. Oktober 2017, geschrieben von Markus Günther.
Auch ich habe natürlich diese Kriegsanalogie oft und reflexartig gebraucht, denke aber wie Herr Günther heute deutlich anders darüber, denn auch für Krebspatienten sollte das Leben im Vordergrund stehen. Das bedeutet nun nicht, dass man sich der Krankheit fatalistisch hingibt. Wäre es nicht sinnvoller, es als Reise zu beschreiben, als Reise durchs Leben, die wir alle gehen, die nun aber eine andere Route einschlägt? Eine Strecke mit mehr Hindernissen, mehr Belastungen, eingeschränkten Möglichkeiten aber auch weiterhin schönen Momenten, die wir genießen sollten?
Markus Günthers Artikel endet dann mit schonungsloser Selbstkritik:
"Es war ein Tag im Frühling, an dem ich den Satz sagte, den ich so sehr bereue: 'Jetzt musst du kämpfen.' Schon im Herbst hatten wir Mutter beerdigt. Sie hatte für meine Schlachtrufe keinen Sinn. Große Operationen, Chemotherapie, sie machte alles mit, aber sie sah auch bald, dass ihr Leben zu Ende ging und das angebliche Kämpfen aussichtslos war. Einmal sagte sie: 'Ich will nicht kämpfen. Ich will leben.' Dass ich es ihr mit meinem Apell unnötig schwer gemacht habe, dass ich Unmögliches von ihr verlangte obwohl sie das Menschmögliche versucht hatte, habe ich erst viel später verstanden."
Optimist schrieb am 3.6.2018:
Bei mir wurde letzten Sommer ein fortgeschrittener Prostatakrebs mit vielen Metastasen und PSA-Wert über 1000 (!) festgestellt. Nach einer kurzen Phase des Erstarrens habe ich beschlossen das Beste daraus zu machen, Hormonentzug und nach vier Monaten eine Chemo mit Docetaxel. Dabei ging es mir meistens (den Umständen entsprechend) gut, Nebenwirkungen waren natürlich zu verzeichnen, aber erträglich.
Aktuell sind die Metastasen viel weniger geworden und der PSA-Wert ist auf 0,2 gesunken. Ich freue mich auf den Sommer, und vielleicht bleibt mein Zustand auch etwas länger stabil.
Was mich störte:
Ich bin offensiv mit meiner Diagnose umgegangen, habe meinen Freundes- und Bekanntenkreis informiert, aber die Reaktionen waren etwas unerwartet.
Einige haben sich ganz von mir zurückgezogen, andere nerven mich mit ihrem grenzenlosen Mitleid ("sind deine Schmerzen noch erträglich ; kannst du mit dieser Diagnose noch leben; kannst du noch was Vernünftiges essen; warum musste gerade dir so etwas passieren; du tust mir ja soooooo leid" usw., usw.).
Meine Antworten, dass es mir so schlecht nicht geht und ich den Krebs mit Hilfe von Therapien und Medikamenten in Schach halten möchte, kamen nie so richtig an.
Für leicht verrückt wurde ich dann gehalten, als ich erwähnte, dass ich den Zeitpunkt der Chemo herbeisehne, mich sogar etwas darauf freute, da mir die Chemo ein längeres Überleben bescheren könnte, was sich jetzt wohl auch andeutet.
Was ich vermitteln möchte:
Jeder Krebspatient geht etwas anders mit seiner Diagnose um. Man sollte ihm zuhören, was er plant, und wenn ein Patient das Beste daraus machen möchte und im Rahmen des Möglichen versucht, den Krebs zu besiegen oder wie in meinem Fall den Krebs zu bremsen, dann dabei unterstützen oder auch nicht, aber auf keinen Fall bemitleiden.
Es gibt auch etliche Patienten die nach der Diagnose in Ratlosigkeit, Depressionen oder Apathie verfallen. Hier könnte, wenn der Patient aus seinem negativen Gedanken nicht mehr herausfindet, der Psychoonkologische Dienst (gibt es an Krankenhäusern in vielen Städten) weiterhelfen.
Das musste, auch im Interesse meiner vom Krebs geplagten Kollegen, einmal gesagt werden.
Jetzt setze ich mich aufs Fahrrad und genieße den Frühsommerabend in einem schattigen Gartenrestaurant.