Der Extrakt aus dem Prostatakrebs-Forum von KISP und BPS

Therapiearten – Abwarten und Beobachten
("Watchful Waiting")

[Wie die Active Surveillance ist das Watchful Waiting (diese aus dem Englischen stammende Bezeichnung wird auch im deutschen Sprachgebrauch überwiegend verwendet) zunächst eine Behandlungsstrategie, keine tatsächliche Therapie (Behandlung).

Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass bei vielen älteren Männern zwar ein Prostatakrebs diagnostiziert wird, dieser aber für die restliche Lebensspanne möglicherweise keine Symptome verursachen wird und darum zunächst nicht behandlungs-, wohl aber beobachtungsbedürftig ist.

Mit der "Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms" ("S3-Leitlinie"), die im September 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und den aktuellen Stand der Schulmedizin zur Behandlung des Prostatakarzinoms darstellt, wurde erstmals in der Geschichte der deutschen Urologie dieser Erkenntnis Rechnung getragen und eine entsprechende Behandlungsstrategie definiert. Bis zum Erscheinen der Leitlinie galt der eherne Grundsatz, dass auch bei älteren Männern jedes Prostatakarzinom behandlungsbedürftig sei.

Gemäß der Leitlinie sollte Watchful Waiting statt kurativer Behandlung bei Patienten erörtert werden, die eine Lebenserwartung von unter zehn Jahren haben. Dieser Parameter kann nicht an einem definierten Lebensalter festgemacht werden, sondern ist abhängig vom "biologischen Alter" des Patienten, unter anderem auch vom Vorliegen weiterer Erkrankungen ("Komorbiditäten") die ein höheres Gesundheitsrisiko darstellen als das Prostatakarzinom. Als untere Altersgrenze für das WW wird aber 65 Jahre angegeben. Je höher das biologische Alter eines Patienten ist, desto stärker würde ihn jede der denkbaren verfügbaren Therapien (Prostatektomie, Bestrahlung, Androgenentzugstherapie) belasten und seine Lebensqualität einschränken.

Beim Watchful Waiting wird die Erkrankung also erst dann – und zwar palliativ (begleitend), nicht mehr kurativ (heilend) – behandelt, wenn sie Symptome verursacht, z. B. Schmerzen durch Skelettmetastasen.

Ed]


Ralf schrieb am 27.8.2003 unter dem Betreff "WW gegen RP - eine skandinavische Studie":

WW gegen RP - eine skandinavische Studie

gelegentlich wurde hier im Forum auf die Verhältnisse in Skandinavien (insbesondere Schweden) Bezug genommen, wo viel weniger operiert und viel mehr watchful waiting betrieben würde. Nichts Genaues wusste aber niemand, das ist unbefriedigend. So bin ich denn auf die Suche nach weiterer Information gegangen und bin auf eine dänische Seite gestoßen, die die Gründe hierfür etwas aufhellt und eingehend auf eine interessante Studie hierzu eingeht. Nachstehend meine Übersetzung:

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Radikale Prostataktomie versus Beobachtung bei lokaliertem Prostatakrebs

INTERNATIONALE FORSCHUNG

Peter Iversen, urologisk afdeling D, H:S Rigshospitalet.

Aus: "Ugeskrift for Læger" [Wochenschrift für Ärzte], Nr. 2 - 2003

Die optimale Behandlung von Patienten mit frühem, lokalisiertem Prostatakrebs war lange kontrovers. Der lange natürliche Krankheitsverlauf, der als der unbehandelte Verlauf verstanden wird, machte es schwierig, die Wirkung der Behandlung in früheren Phasen der Krankheit zu beurteilen. In Skandinavien und besonders in Dänemark haben wir viele Jahre lang an einer beobachtenden Strategie festgehalten, wobei Patienten mit symptomlosem, nichtmetastasierten Prostatakrebs nur beobachtet wurden, um, wenn der Krebs sich zu einem fortgeschrittenem und symptomatischen Krebs entwickelte, mit einer endokrinen Manipulation einzusetzen, die vom Konzept her eine palliative Therapie war.

Mit der Einführung des prostataspezifischen Antigens (PSA) gegen Ende der 1980er wurde bei mehr Männern ein Prostatakrebs in einem Stadium diagnostiziert, in dem der Krebs lokalisiert war. Auf Basis der traditionellen chirurgisch-onkologischen Strategie und amerikanischen Erfahrungen mit chirurgischer Behandlung wurde 1995 in Dänemark die radikale Prostatektomie als Behandlung für lokalisierten Prostatakrebs bei jüngeren Patienten (<65-70 Jahre) mit einer erwarteten Überlebenszeit von >10 Jahren eingeführt.

Die Entscheidung, diesen Eingriff einzuführen, der mit dem Risiko von Nebenwirkungen wie erektiler Dysfunktion und Harninkontinenz behaftet ist, wurde diskutiert (1, 2). Das Argument gegen das Beginnen mit der radikalen Prostatektomie war, dass kein ausreichender Beleg dafür vorlag, dass der Eingriff die krankheitsspezifische Morbidität und Mortalität verringern würde. Der Eingriff hat doch in Dänemark Fuß gefasst, und 2002 wurden schätzungsweise 150-175 radikale Prostatektomien durchgeführt, verteilt auf 4-5 Zentren.

Die Scandinavian Prostatic Cancer Group (SPCG), eine Arbeitsgruppe unter der Nordischen Urologischen Vereinigung, hat kürzlich ihr 20-jähriges Jubiläum gefeiert...

Eine ihre ehrgeizigsten gesamtnordischen Multizenter-Untersuchungen im Zusammenhang mit der Behandlung von Prostatakrebs ist SPCG-4, wo Patienten mit klinisch lokalisiertem in dem Zeitraum 1989-1999 für radikale Prostatektomie oder Beobachtung randomisiert wurden. Da zu Beginn der Studie die radikale Prostatektomie in Dänemark nicht, und in Norwegen nur selten durchgeführt wurde, nahmen nur die schwedischen und finnischen Abteilungen an der Untersuchung teil, ergänzt um einen einzigen Isländer. Mit einer mittleren Weiterbeobachtungszeit von 6,2 Jahren wurde die erste Analyse der Untersuchung kürzlich veröffentlicht (3). Die Untersuchung ist die erste ihrer Art, die Art der Durchführung war gut, und die Ergebnisse haben in urologischen und onkologischen Kreisen beträchtliche Aufmerksamkeit erweckt. Insgesamt 695 auswertbare Patienten mit einem Durchschnittsalter von 64,7 Jahren wurden aufgenommen, und das vorrangige Ziel war die Mortalität an Prostatakrebs. Insgesamt 115 Patienten waren zum Zeitpunkt des Abschlusses gestorben. Die Anzahl und die Ursachen in den beiden Armen gehen aus Tabelle 1 hervor. Mit einer vollständigen Weiterbeobachtung aller Patienten und einer Analyse, die auf dem intention-to-treat-Prinzip basierte, verringerte die radikale Prostatektomie das Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, um 50 % (95 % Vertrauensintervall 9-83 %; p = 0,02), und reduzierte parallel dazu das Risiko einer metastatischen Erkrankung um 37 % (95 % Vertrauensintervall 4-59 %; p= 0,03). Die Zahl der Patienten, die später hormonell behandelt wurden (116 gegenüber 80), der Patienten, bei denen eine pallierende Strahlenbehandlung erforderlich wurde (22 gegenüber 13), die sich einer Laminektomie wegen Rückenmarkskompression unterziehen mussten (8 gegenüber 1) favorisierte die radikale Prostatektomie. Insgesamt starben 62 Männer in der Beobachtungsgruppe und 53 in der Gruppe operierter Patienten. Dieser Unterschied ist nicht statistisch signifikant (p = 0,31).

Diese erste Analyse wurde zu einem frühen Zeitpunkt vorgenommen, wo erst 16,5 % der auswertbaren Patienten gestorben sind, und wo nur 6,8 % an Prostatakrebs gestorben sind. Die Verfasser sind daher in ihren Schlussfolgerungen auch vorsichtig und unterstreichen, dass es im Gesamtüberleben keinen signifikanten Unterschied gibt. Die Frage ist indes, ob es überhaupt möglich ist, mit einer so kurzen Weiterbeobachtung beim Überleben einen signifikanten Unterschied zu erzielen, wenn man den langen natürlichen Krankheitsverlauf der Krankheit und eine Prostatakrebs-Mortalität von nur 6,6 % in Betracht zieht. Ich finde es dagegen überraschend, dass bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein klarer und statistisch signifikanter Unterschied beim Risiko des Todes durch Prostatakrebs festgestellt werden kann. Logischerweise kann man von der radikalen Prostatektomie nur dann erwarten zu einer Heilung zu führen, wenn der Krebs auf die Prostata begrenzt ist. Derartige Tumore werden auch ohne Behandlung einen langen Verlauf haben, und sie führen zu Siechtum und Tod. Man darf daher erwarten, dass der Unterschied in der krebsspezifischen Mortalität im Verlaufe der Zeit zunehmen wird. Dies wird dadurch gestützt, dass der Unterschied in den veröffentlichten Daten sowohl für den Tod durch Prostatakrebs als auch für Prostatakrebs-Metastasen im Verlauf der Beobachtungszeit zuzunehmen scheint.

Steineck et al (4) haben eine Untersuchung der Lebensqualität an 376 schwedischen Männern veröffentlicht, die in SPCG-4 eingegangen waren. Die Verfasser verwendeten ein validiertes Frageschema, das frühestens 14 Monate nach der Randomisierung (>12 Monate nach der radikalen Prostatektomie) an die Patienten versandt wurde. 87 % der Patienten antworteten im Mittel vier Jahre nach der Randomisierung. Während zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede in der übergeordneten Auffassung von Lebensqualität registriert werden konnten, kamen erektile Dysfunktion und Harnundichtigkeit bei den Operierten nicht unerwartet häufiger vor. Die gleichen Beschwerden waren indes bei der Beobachtungsgruppe nicht selten, von der z. B. 45 % gegenüber 80 % der operierten Patienten über erektile Dysfunktion klagten. Etwas entsprechendes galt für die Harnwegssymptome, wo im übrigen die Patienten in der Beobachtungsgruppe mehr ausgesprochen obstruktive Beschwerden hatten. Die Resultate unterstreichen, dass man bei den Überlegungen über eine eventuelle radikale Prostatektomie bei lokalisiertem Prostatakrebs die Nebenwirkungen des Eingriffs den Nebenwirkungen einer eventuellen alternativen Behandlung und/oder den Symptomen eines unbehandelten, aber fortschreitenden Krebses gegenüberstellen sollte.

Die Lebensqualität ist kein statistischer Begriff. Die Priorisierung unterschiedlicher Aspekte der Lebensqualität ändern sich mit dem Alter und dem Stadium der Krankheit. Die zitierte Untersuchung zur Lebensqualität wurde relativ früh im Verlauf der Patienten vorgenommen. Von einer zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene entsprechenden Bewertung der Lebensqualität, wo mehr aus der Beobachtungsgruppe Progression und vielleicht Fernmetastasen der Erkrankung erleben, kann man sich gut vorstellen, dass sie die Ergebnisse ändert.

Sollen alle Patienten mit lokalisiertem Prostatakrebs nun prostatektomiert werden? Nein, es wird immer Patienten geben, denen mit einer abwartenden Behandlung am besten gedient ist. Ältere Patienten mit entweder kleinen, hochdifferenzierten Tumoren und/oder einer zu erwartenden Lebenszeit von unter zehn Jahren werden nur in Ausnahmefällen von einer radikalen Prostatektomie einen Vorteil haben. Es wird dadurch auch in Zukunft Bedarf an einer sorgfältigen und individualisierten Beratung geben. Trotzdem haben die SPCG-4-Studie und ihre vorläufigen Ergebnisse schwerwiegende Daten zum Gebrauch bei der künftigen Information von Patienten mit lokalisiertem Prostatakrebs geliefert. Unseren Kollegen in Schweden, Finnland und Island muss für die Durchführung dieser einzigartigen Untersuchung ein Kompliment ausgesprochen werden. Einer reiferen Analyse in 5 bis 7 Jahren wird mit Spannung entgegengesehen.

Tabelle 1 - Todesursache und die Anzahl Verstorbener bei der SPCG-4-Studie. Modifiziert aus (3)

Todesursache

Beobachtung

RP


n = 348

n = 347

Prostatakrebs

31

16

Andere Ursache

31

37



Literatur:

(1) Gøtzsche PC. Skal radikal prostatektomi indføres? Med svar af Iversen P. Ugeskrift for Læger 1999; 161: 3472-3.
(2) Gøtzsche PC. Radikal prostatektomi er udokumenteret. Med svar af Iversen P. Ugeskrift for Læger 1999; 161: 5691-2.
(3) Holmberg L, Bill-Axelson A, Helgesen F et al. A randomized trial comparing radical prostatectomy with watchful waiting in early prostate cancer. N Engl J Med 2002; 347: 781-9.
(4) Steineck G, Helgesen F, Adolfsson J et al. Quality of life after radical prostatectomy or watchful waiting. N Engl J Med 2002; 347: 790-6.

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Wohlgemerkt, es geht nur um einen Vergleich zwischen WW und RP, nichts anderes, keine Bestrahlung, keine DHB usw.

GünterF schrieb am 18.6.2004:

hier wieder mal ein Studienergebnis zum Verlauf der Erkrankung Prostatakrebs (PK), wenn diese nicht lokal, invasiv behandelt wird. In der Zusammenfassung wird berichtet, dass bis zu einem Zeitraum von 10 bis 15 Jahren frühzeitig diagnostizierter PK eine langsame Wachstumsrate aufweist, danach jedoch der PK zunehmend aggressiv wird.

Bezüglich der Therapieziele verweisen die Authoren auf die Notwendigkeit, nicht alleine den Aspekt Lebensverlängerung sondern auch die schwerwiegenden Folgen einer lokalen Ausweitung des PK zu bedenken. Zusammenfassend empfiehlt die Studie frühzeitige und radikale Behandlungsmethoden bei Patienten mit einer langen Lebenserwartung.

Die Studie basiert auf einer 21jährigen Beobachtung von 223 Patienten, die frühzeitig PK-diagnostiziert wurden und nach dem Konzept "Beobachten und Warten" mit Östrogenen bzw. Orchiektomie behandelt wurden.

Der Originaltext des Studienabstrakts steht im Journal of American Medical Association (JAMA) und folgt am Ende dieses Beitrages.

June 9, 2004

Untreated early stage prostate cancer risks becoming aggressive after fifteen years

A study published in the June 9 2004 issue of the Journal of the American Medical Association ( http://jama.ama-assn.org/) found that early stage prostate cancer that is untreated carries a significant long term risk of progressing to a more aggressive form of the disease. Without treatment, only a small percentage of prostate cancer patients that have been diagnosed early die of the disease within fifteen years.

Jan-Erik Johansson, MD, PhD, of Örebro University Hospital in Örebro , Sweden, and colleagues followed 223 early-stage prostate cancer patients who were undergoing "watchful waiting", which involves monitoring the disease without aggressive therapy. During the twenty-one year follow-up period, any patients who developed tumor progression with symptoms were treated with estrogens or orchiectomy.

The researchers found that during the initial ten to fifteen years most cancers progressed slowly, but after fifteen years there was an increase in tumor progression, metastases and death from the disease, with prostate cancer mortality increasing three-fold compared to the first fifteen years. At the study's conclusion, 40 percent of the participants had experienced disease progression, and of these, 17 percent had developed local progression of the disease (defined as tumor growth through the prostate capsule) with distant metastases.

The authors conclude, "Our data may be important for counseling and clinical management of individual patients. Postponement of death is not the only treatment objective because local progression may create substantial suffering. In conclusion, our data indicate that the probability of progression to a more aggressive and lethal phenotype may increase after long-term follow-up of prostate cancers that are diagnosed at an early stage and initially left without treatment. These findings argue for early radical treatment of patients with long life expectancy."

"Urologe", ein ebensolcher, schrieb dazu am selben Tag:

ich habe den Vortrag von Johansson auf dem AUA (Welt-Urologen-Kongress) in Chikago gehört und seine Zahlen gesehen.

Es ist in der Tat so, dass man bei früher Dx des PK auch erst einmal abwarten kann unter engmaschiger Kontrolle und erst bei mehrmaligem deutlichen PSA-Anstieg weitere Maßnahmen ergreift.

Er hatte aber auch gezeigt, dass zu langes Warten die Prognose weiterer Therapien deutlich verschlechterte.

Ein "Gast", der seinen Namen nicht nennen mochte, schrieb, ebenfalls am selben Tag:

Sehr wichtige Frage dazu: Wie wurde die Diagnose "PK" gestellt? Wahrscheinlich wurde AUCH eine Biopsie gemacht. Nur ab dem Moment ist/wäre das nicht mehr vergleichbar mit einem Mann, der gar nicht zur "Vorsorge" geht.

Das war ja gerade das, was Prof. Dr. med Hackethal beschrieb, die alles überwiegende (> 95 %) Mehrheit aller PKs sind harmlose "Haustiere", solange Mann sie in Ruhe lässt. So bald Mann da aber rein sticht (Biopsie) oder schneidet (RPE), ist es mit der Ruhe vorbei, dann hat Mann plötzlich ein wildes "Raubtier".

Offensichtlich ist aber auch nach einer erfolgten Biopsie Nichtstun auch immer noch besser als alles andere, wie aus der Studie hervorgeht, wenn da behauptet wird, mehr als 15 Jahre nach Diagnosestellung würde so ein PK plötzlich aggressiv. Laut Sloane Kettering Memorial for Cancer Research ist die mittlere Überlebensdauer nach RPE unter neun Jahren, und nach der doppelten Zeit sind dann praktisch alle tot. Die Überlebensrate mag ja für einen 72jährigen (Durchschnitts-PK-Patient) eine ganz annehmbare Perspektive sein, für einen 45jährigen ist sie das sicher nicht.

Dazu die folgende kurze Bestätigung von Urologe fs:

ja, alle Diagnosen wurden durch Biopsie gesichert.

HWL schrieb am 5.8.2004:

Am 20.07.2004 hatte ich zum Thema "Kriterien zur Behandlung von niedrig- und mittelgradigem PCa" einem Beitrag in das Forum gestellt und angeboten, den englichsprachigen Text zusammenfassend zu übersetzen. Da unter den vielfältigen Veröffentlichungen zu diesem Thema auch teilweise bessere Veröffentlichungen vorliegen, habe ich zum gleichen Thema eine aussagekräftigere Studie herangezogen und zusammengefasst.

Es handelt sich um eine Roh-Übersetzung in Auszügen und ohne Gewährleistung für sinngemäße Wiedergabe. Bei Bedarf übersende ich gern den Originaltext.

Expectant Management with selective delayed intervention for favorable risk prostate cancer (Klotz .L, M.D., Universität Toronto, Abtg. Urologie, Ontario, Kanada, in Urologic Oncology 7 (2002) 175-179.).

Abwartende Patientenführung mit selektiv ausgewähltem, zeitlich verschobenem Eingriff bei Prostatakarzinom mit günstigem Risiko (Auszüge).

Die Frage der optimalen Behandlung von klinisch lokalisiertem Prostatakarzinom bleibt unbeantwortet. Die Behandlungsoptionen sind unterschiedlich und variieren von konservativen Verfahren (abwartende Patientenführung) bis zu tatsächlichen Eingriffen (radikale Prostatektomie oder Strahlentherapie). Einige Studien haben darauf hingedeutet, dass "abwartende Patientenführung" (objectified waiting, watchful observation) ähnliche 10-Jahres-Überlebensraten und qualitätsorientierte Lebensjahre ermöglicht wie die radikale Prostatektomie oder die Strahlentherapie. Eine abwartende Patientenführung allein raubt jedoch einigen Patienten mit potentiell heilbarer und lebensbedrohender Erkrankung die heilende Therapie. In einer Studie (Lancet 1997) wird berichtet, dass besonders die Patienten mit einem hohen Gleason Score, die eine radikale Prostatektomie oder Strahlenbehandlung hinter sich hatten, eine 5 Jahre verlängerte Gesamtlebenszeit und ein entsprechendes krankheitsspezifisches Überleben hätten, verglichen mit denen einer "abwartenden Patientenführung".

Das Dilemma der richtigen Behandlung ist begründet in der Heterogenität der natürlichen Entwicklungsgeschichte des Prostatakarzinoms. Ergebnisse von Autopsie-Studien zeigen, dass 30 % aller Männer über 50 Jahre Prostatakrebs haben. Wie die Untersuchungsergebnisse weiter zeigen, haben aber nur 10 % dieser Männer eine klinische Progression, die aus einer Diagnose stammt. Obwohl diese Statistiken auf ein häufiges Auftreten eines "latenten" Prostatakarzinoms hindeuten und bei vielen Patienten einen langsamen natürlichen Verlauf des Karzinoms erwarten lassen, zeigen sie durchaus auch das Risiko, an einem klinisch diagnostiziertem Prostatakarzinom zu sterben. Dieses Rätsel gilt für beide Behandlungsarten, für die konservative wie auch für die radikale Behandlung.

Die Art der "abwartenden Patientenführung", bisweilen auch als "watchful waiting" bezeichnet, bestand ursprünglich, in der Vor-PSA-Zeit, darin, keine aktive Behandlung zu beginnen, bis sich symptomatische Metastasen zeigen. Von diesem Punkt an wurde damals eine "androgen ablation", also eine hormonelle Behandlung angeboten. Heute dagegen, in der PSA-Zeit, werden die Patienten durch PSA-Tests überwacht, bis ein Eingriff erfolgen muss.

Eine Tabelle über die Prostata-Sterblichkeit und -Überlebensraten innerhalb einer "Watchful-waiting-Gruppe ohne jede Behandlung (WW)" zeigt interessante Ergebnisse. Denn Patienten mit einem niedrigen Gleason Score von GS=2-4 sterben im allgemeinen nicht an ihrer Krebserkrankung.

Ein PCa wächst im allgemeinen nur langsam. Forschungen haben gezeigt, dass die Erkrankung beim typischen Patienten in seinen 30er-Jahren beginnt und rund 20 Jahre braucht, um klinisch erkennbar zu werden.

Die Forscher führten eine klinische Studie durch, um eine neuartige Vorgehensweise zu untersuchen. Dabei sollte die Wahl zwischen definitiver Therapie und konservativer Vorgehensweise durch die Rate der PSA-Anstiege festgelegt werden. Diese Strategie, die (nach Meinung der Forscher) bis Mitte 2002 noch niemals vorher beschrieben oder untersucht worden ist, bietet eine wesentliche Anziehungskraft darin, ob eine individuelle Therapie begonnen werden sollte, entsprechend dem biologischen Verhalten des PCa. Das bedeutet wiederum, dass Patienten mit einer langsam wachsenden Aggressivität ihres PCa sich die Nebenwirkungen einer radikalen Behandlung ersparen können, während die Patienten mit einem aggressiveren PCa noch von einer kurativen Therapie Vorteile haben.

Die Studie umfasste 200 Patienten, die bei ihrer "Watchful-Waiting-Strategie mit selektiv ausgewähltem Eingriff" überwacht wurden. Die Patienten hatten alle einen PSA <15, einen Gleason Score ≤7 und einen Malignitätsgrad von T ≤2b. Die Patienten wurden bei ihrem "Watchful-Waiting" überwacht, bis sie spezifische Kriterien erreichten, die eine rapide oder klinisch signifikante Progression kennzeichneten.

Die Kriterien waren:

1. PSA-Progression, definiert durch sämtliche der drei folgenden Bedingungen:

a) PSA-Verdopplungszeit < 2 Jahre, basierend auf mindestens 3 getrennten Messungen über eine Mindestzeit von 6 Monaten
b) Endgültiger PSA >8 ng/ml
c) P-Wert <0,05 von einer Regressionsanalyse von 1 n (PSA) zur gleichen Zeit

2. Klinische Progression, definiert, wenn eine der folgenden Bedingungen erreicht war:

a) Mehr als doppeltes Anwachsen des Produktes von maximalem senkrechten Durchmesser des Primärtumors bei digitaler Messung.
b) lokales Wachstum des PCa, bei dem eine TURP erforderlich wird
c) Entwicklung von Miktionsproblemen
d) Radiologischer und/oder klinischer Beweis von Fern-Metastasen

3. Histologische Progression

a) Gleason Score ≥8 bei erneuter Biopsie der Prostata nach 12-18 Monaten

Die meisten der Patienten des Versuches erfüllten die Kriterien eines günstigen Krankheitsverlaufes (PSA <10, Gleason ≤6, T≤2a).

80 % der Patienten hatten einen Gleason Score ≤6
80% der Patienten hatten einen PSA <10 ng/ml.

Während einer mittleren Überwachungungszeit (Median-Wert) von 42 Monaten (= 3,5 Jahren) beendeten 30 % (60) der 200 Personen die "watchful observation", während 70 % (140) weiter überwacht wurden.

Von den Patienten, die die Überwachung aufgaben, hatten nur 8 % eine rapide biochemische und gleichfalls 8 % eine klinische Progression. Auf Wunsch der Patienten verliessen 8 % das Programm und 6 % beendeten die Teilnahme aus anderen, meist persönlichen Gründen.

Die Verteilung der PSA-Verdopplungszeit (PSAdt) zeigt eine Tabelle, deren Werte nachstehend wiedergegeben werden.

PSA Verdopplungszeiten bei Patienten in einem Watchful-Waiting-Protokoll

Prozentsatz der Patienten

PSA-Verdopplungszeit (PSADT)

14

< 2 Jahre

34

2-5 Jahre

19

5-10 Jahre

8

10-20 Jahre

4

20-50 Jahre

20

> 50 Jahre



Der mittlere (Median-) Wert der PSAdt lag bei 5,13 Jahren. Ein Drittel der Patienten hatte eine PSAdt von mehr als 10 Jahren, die Hälfte lag immer noch über 5 Jahren, ein weiteres Drittel lag zwischen 2 und 5 Jahren und nur 14 % unter 2 Jahren.

Die Patienten wurden nach 12 und 18 Monaten erneut biopsiert. Bei 92 % der Patienten blieb die Biopsie-Werte konstant. Nur 8 % hatten signifikante Steigerungswerte von >2 Gleason Scores. Dies steht in Übereinstimmung mit einer anderen Untersuchung (Epstein und Walch), die eine Rate von 4 % im Progressionsgrad über einen Zeitraum von 2-3 Jahren feststellten.

Nur neun von 200 Patienten hatten eine radikale Prostatektomie nachdem sie feststellten, dass ihre PSAdT unter 2 Jahren lag. Alle hatten bei Eintritt in die Studie einen Gleason Score von 5-6, einen PSA unter 10 ng/ml und einen pT1-2.

Die Abschluss-Pathologie ergab: 3 von 9 hatten einen pT2, 5 hatten einen pT3a-c und einer war N1. Die Ergebnisse stützen die Meinung, dass eine kurze PSAdt verbunden ist mit einer aggressiveren Charakteristik. Ein PSAdt, kleiner als zwei Jahre, bei Patienten mit anderen eher günstigen klinischen Erscheinungen, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit einer fortgeschrittenen Erkrankung. Glücklicherweise ist dieses Szenario ungewöhnlich. Der optimale Schwellenwert liegt wahrscheinlich im Bereich von drei Jahren.

Schlussfolgerungen:

Die Vorgehensweise des Watchful Waiting mit selektiver Intervention bei Patienten mit rapider biochemischer oder klinischer Progression ist durchführbar. Die meisten Patienten, die die Grundlagen dieser Vorgehensweise verstehen, werden über eine lange Zeit bei der "Watchful Observation" bleiben. Die PSA-Verdopplungszeit (PSAdt) variiert in großem Umfang. Bei diesen (200) Patienten war die PSAdt aus den Werten nach Gleason, Mal. Grading oder Ausgangs-PSA nicht vorhersagbar. 33 % der Patienten hatten eine PSAdt von mehr als 10 Jahren. Die PSA-Verdopplungszeit scheint somit ein nützliches Werkzeug zu sein, um den Zeitpunkt einer Behandlung bei solchen Patienten zu überwachen, die anfangs mit "Abwartender Patientenführung" (expectant management) behandelt wurden. Eine PSAdt von weniger als zwei Jahren identifiziert Patienten mit hohem Risiko einer lokalen Progression trotz anderer günstiger Prognosefaktoren. Der günstigste Schwellenwert für den Beginn einer definitiven Therapie ist eine PSA dt von etwa drei Jahren. Etwa 20 % der Patienten fallen unter diese Kategorie. Die übrigen haben eine hohe Chance, über Jahre frei zu bleiben vom Wiederauftreten der Erscheinungen und von Progression.

Watchful Waiting ist klar angezeigt für Patienten, die schon älter sind, die signifikante Zweiterkrankungen haben und überwiegend günstige klinische Parameter. Der Gebrauch von Co-Morbiditäts-Indices (z.B. ICED) erleichtert die Identifikation von Patienten, deren Lebenserwartung verringert ist relativ zur natürlichen Entwicklung ihrer Prostatakarzinome. Die Wahrscheinlichkeit eines Todes durch das PCa ist bei diesen Patienten niedrig. Viele Patienten fallen jedoch in eine Grauzone, wo die Vorteile einer Behandlung unklar sind. Bei diesen Patienten ist eine Politik der engen Beobachtung mit selektivem Eingreifen zweckmäßig.

Jürgen schrieb am 6.8.2004:

in dem Zusammenhang mit WW habe ich über die Praxis an einer Klinik in England gelesen. Dort wurden 80 Betroffenen im Anfangsstadium in einer Gruppe zusammengefasst und durch Fachärzte der Klinik bei der Durchführung von WW begleitet, d.h. ständige Überwachung des PSA, Beratung über weitere Diagnosemöglichkeiten,Ernährungsumstellung und bei Progression Beratung über weitere Therapiemöglichkeiten.

So eine Möglichkeit würde ich mir auch bei uns wünschen. Ich wäre sofort dabei. In Anbetracht der steigenden Zahl der Frühdiagnostizierten gibt es auch eine steigende Nachfrage.

HWL schrieb am 14.8.2004:

Nachfolgend ein grob-übersetzter Artikel aus einer US-Zeitschrift. Keine Gewährleistung für fehlerhafte Übertragung.

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Behandeln oder Abwarten
von Michael Lasalandra, The Boston Globe, 27.01.2004

Je häufiger Männer unter 70 Jahren mit Prostatakarzinom diagnostiziert werden, desto häufiger fragen sie sich, ob es wirklich nötig ist, etwas dagegen zu unternehmen.

Als Ende letzten Jahres der US-Staatssekretär Colin Powell mit Prostatakrebs diagnostiziert worden war, wählte er eine Prostatektomie zur vollständigen Beseitigung der Drüse. Der Präsidenschaftskandidat John F. Kerry traf im Frühjahr des Jahres die gleiche Entscheidung. Der frühere Bürgermeister der Stadt New York, Rudy Guiliani war im Jahr 2000 diagnostiziert worden und entschied sich gleichfalls für eine aggressive Therapie. In seine Prostata wurden radioaktive Seeds implantiert.

Aber beide Wahlmöglichkeiten - wie die Kryotherapie, eine andere populäre Behandlung, die Krebszellen durch Einfrieren abtöten soll - tragen das Risiko von ernsthaften Nebenwirkungen, einschließlich Impotenz und Inkontinenz.

Männern über 70 Jahre wird oft geraten, die Behandlung eines frühen Prostatakrebses hinauszuschieben. Denn auf der einen Seite können die Nebenwirkungen sehr schlimm sein und auf der anderen Seite kann die Krankheit innerhalb von 15 Jahren nur selten sehr verhängnisvoll werden. Zumindest nach dem, was man bisher weiß.

Anstelle einer Operation, Kryotherapie oder Bestrahlung überwachen diese Männer ständig, alle drei oder sechs Monate ihre PSA-Werte, lassen jährlich eine Biopsie machen und befolgen in vielen Fällen sowohl eine Diät wie auch eine Änderung ihrer Lebensgewohnheiten. Sie hoffen damit, ihren langsam wachsenden Krebs im Zaume zu halten.

Aber dieses sogenannte "watchful waiting" hat auch seine eigenen Nebeneffekte. Denn die regelmäßigen Tests sind ein "Angstgeschäft". Jüngere Männer, die sich zu dieser Option entschlossen haben, finden im allgemeinen nur selten den Arzt, der diesen Weg mit ihnen gehen will. Und da gibt es immer das Risiko, dass - während der Patient "wartet" - sich der Krebs außerhalb der Prostata ausbreitet, und dies macht eine Behandlung dann sehr viel schwieriger.

"Wenn man dies macht, dann lebt man außerhalb des Bereiches der normalen Medizin", so Dr. Glenn J. Bubley, Direktor für genetisch-urologische Onkologie am Beth Israel Deaconess Medical Center und einer der Minderheit von PCa-Ärzten, die für das "watchful waiting" von jüngeren Männern offen sind. "Es erfordert eine sehr konsequente Selbst-Überwachung und ein Leben mit der "Mehrdeutigkeit". Die einen fühlen sich dabei wohl, die anderen aber nicht. Für einige ist die Angst zu groß. Sie sagen dann, "Wenn ich schon Krebs habe, dann raus damit".

Obgleich die Gewohnheit der Nutzung von PSA-Messungen den Ärzten ein frühzeitigeres Erkennen des PCa ermöglicht hat, so ist es dennoch nicht klar, ob alle diese Krebse tatsächlich behandelt werden müssen.

Die meisten Männer, bei denen Prostatakrebs diagnostiziert wurde, starben an etwas anderem, nur nicht an Prostatakrebs. Manche mögen eine "träge" Form der Erkrankung haben, die nicht weiter fortschreitet und die niemals einen Schaden hervorrufen wird. Aber - die Ärzte können einem nicht sagen, ob das bei einem selbst der Fall ist.

Zu den Änderungen der Lebensgewohnheiten verordnen manche Ärzte testosteronblockierende Medikamente - vor Jahren nur gegen den aggressiven Prostatakrebs eingesetzt - und zwar jetzt beim frühen PCa auf intermitterender Basis. Nebenwirkungen wie Libidoverlust und Hitzewallungen sind reversibel, wenn die Behandlung unterbrochen bzw. beendet wird.

Cam Bishop, ein Sozialarbeiter aus dem Ort Reading war im vergangenen Jahr im Alter von 61 Jahren diagnostiziert worden. Er hofft jetzt, dass die begonnene Diät und die Änderung seiner Lebensgewohnheiten seinen Krebs lange genug in Schach halten werden, um agressive Therapien zu vermeiden. "Mein Urologe sagt zwar, dass ich sofort eine radikale Prostatektomie brauche, aber ich bin halt ein obstinater alter Bastard. Ich ging ins Internet und studierte soviel, wie ich irgend konnte. Ich wusste, dies war nicht der gezeigte Weg. Aber die Heilung des Krebses ist schlimmer als die Krankheit selbst".

Bishop sagte, er habe einen anderen Urologen gefunden, wer bereit war, ihm auf seinem gewählten Weg zu folgen. "Er hatte chinesische Pflanzenmedizin studiert", sagte Bishop, "und er gab zu verstehen, dass es mehr als einen Weg gibt, wie man einer Katze das Fell abzieht".

Eine Diät mit geringem Fettgehalt, regelmäßigen Körperbewegungen und Mengen an Supplement-Ernährung hatten ihm dabei geholfen, seinen PSA-Wert gegenüber dem vorangegangenen Jahr um etwa ein Viertel herunterzudrücken. Weiter sagte er: "Wenn der PSA-Wert dabei ist, wieder scharf nach oben zu gehen", dann würde er immer noch, wenn auch nur widerwillig, einer Operation zustimmen. "Lieber würde ich dann aber nach irgendeiner Form von Hormontherapie Ausschau halten ... wenn sie bis dahin nicht irgendetwas Neues und Besseres haben".

© Copyright 2004 Globe Newspaper Company

PaulEn schrieb am 7.5.2005:

Das Deutsche Ärzteblatt Online brachte gestern den unten abgedruckten Bericht, den man etwas kritisch lesen sollte. So wird z. B. hier eine Hormonblockade als keine Intervention angesehen. Außerdem sind bei dem Bericht eine Reihe von Informationen unter den Tisch gefallen. Deshalb empfehle ich einen Blick in die Originalveröffentlichung http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/293/17/2095. Sehr interessant finde ich auch die Diagramme http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/293/17/2095/JOC50024F1

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT ONLINE
06.05.2005

M E D I Z I N

Zwanzigjähriges Follow-up beim Prostatakarzinom: Intervention bei niedriggradigen Tumoren nicht notwendig

WASHINGTON. Lediglich sieben Prozent der Studienteilnehmer, bei denen ein Prostatakarzinom vom Gleason-Score 2 bis 4 diagnostiziert wurde, starben innerhalb der nächsten 20 Jahre an diesem Tumor, bei Geason-Score 5 waren es 14 Prozent, berichten Peter Albertsen und Mitarbeiter vom University of Connecticut Health Center (JAMA 2005; 293: 2095-2101).

An der populationsbasierten Kohortenstudie nahmen 767 Männer teil, bei denen zwischen 1971 und 1984 Prostatakrebs diagnostiziert wurde. Die Behandlung der durchschnittlich 69 Jahre alten Männer beschränkte sich entweder auf der Beobachtung des Krankheitsverlaufs oder auf einen Androgenentzug. Im Median wurden die Patienten 24 Jahre lang beobachtet.

Von den 767 Patienten der Kohorte waren am Studienende 29 Prozent am Prostatakarzinom und 61 Prozent aus anderen Gründen gestorben. Bei vier Prozent war die Todesursache unbekannt. Sechs Prozent lebten noch.

Die auf den Prostatakrebs zurückzuführende Mortalität betrug 33 pro 1 000 Personenjahre während der ersten 15 Jahre und lag danach bei 18 pro 1 000 Personenjahren. Nach der Adjustierung hinsichtlich der Tumorstadien war die Mortalitätsrate in den beiden Nachbeobachtungsperioden nicht mehr signifikant verschieden. Bei einem Gleason-Score von 2 bis 4 waren sechs Todesfälle pro 1.000 Personenjahren, bei Gleason-Score 8 bis 10 waren 121 Tote zu beklagen. Intermediäre Befunde (Gleason-Score 5 oder 6) waren mit entsprechenden Überlebensraten verbunden.

Albertsen und Kollegen folgern, dass sich die Progressionsrate nach 15 Jahren nicht erhöht und Männer mit niedriggradigem Tumor auch nach 20 Jahren ein geringes Progressionsrisiko haben, wenn der Tumor lediglich beobachtet oder ein Androgenentzug vorgenommen wurde.

Peter Gann und Misop Han von der Northwestern University in Chicago kommentieren die Ergebnisse etwas zurückhaltender (JAMA 2005; 293: 2149-2151). So seien 33 Prozent der Tumoren (n = 256) mit einem Gleason-Score von 5 oder weniger eingestuft worden. Solche Befunde werden oft bei Operationen aufgrund von benigner Prostatahyperplasie erhoben. Diese Eingriffe werden heute mehr so häufig vorgenommen.

Andererseits haben Tumoren, die durch ein PSA-Screening entdeckt werden, oft einen höheren Malignitätsgrad. Hieraus folgern Gann und Han, dass niedriggradige Tumore in der Studie im Vergleich zur heutigen Situation überrepräsentiert seien. Ferner könnten aufgrund der häufigen Komorbidität und dem hohen Durchschnittsalter in der Kohorte mehr Patienten aufgrund anderer Ursache als dem Prostatakarzinom gestorben sein. /me

Links zum Thema

Der Beitrag im JAMA

http://jama.ama-assn.org/cgi/content/full/293/17/2095

HWL schrieb am 13.5.2005 über dieselbe Studie:

In Reuters Health Report vom 9. Juni 2004 war berichtet worden, dass nach einem watchful waiting über 15 Jahre ohne Behandlung ein wenig aggressiver PCa in einem frühen Stadium, - also ein "Haustierkrebs" -, sich in eine aggressive Form – also in einen "Raubtierkrebs" – umwandeln kann. Dies würde dann doch eine Behandlung durch Operation, Bestrahlung o.dgl. erfordern. Man folgerte daraus, dass dies die Forderung nach einer frühzeitigen radikalen Behandlung stützt, besonders bei Patienten mit einer geschätzten Lebenserwartung von mehr als 15 Jahren. Jetzt wurde eine Überprüfung der Daten durch die University of Connecticut in Farmington/USA bekannt, in der der Prostata-Forscher Dr. Peter C. Albertsen mit Kollegen zu gegensätzlichen Ergebnissen kommt.

Bei der Überprüfung wurden die Ergebnisse der sog. Connecticut Tumor Registry aus Krankenberichten und histologischen Überprüfungen von 767 Männern herangezogen, bei denen in den Jahren 1971 - 1984 ein klinisch diagnostiziertes,lokales PCa festgestellt worden war. Alle Patienten waren entweder nach dem System watchful waiting oder mit einem sofortigen bzw. verzögerten (hormonell wirksamen) Medikament behandelt worden. Die Patienten wurden im Mittel 24 Jahre lang beobachtet. Während der ersten 15 Jahre Beobachtungszeit betrug die Sterblichkeitsrate 33 pro 1000 Personen/Jahr. Nach 15 Jahren fiel die Rate nicht-signifikant auf 18 pro 1000 Personen/Jahr, stieg also nicht rapide an, wie die vorangehende Studie behauptete.

Das Tumor-Grading hatte jedoch einen grossen Einfluss auf die Sterblichkeitsrate. So reichte die Sterblichkeit bei geringgradigen PCa (Gleason 2 - 4) von 6 pro 1000 Personen/Jahr bis zu hochgradigen PCa (Gleason 8 - 10) mit 121 pro 1000 Personen/Jahr. Dennoch bleibe, so wurde in einem Redaktionsbeitrag kommentiert, die wahre natürliche Entwicklungsgeschichte von heutige Fällen von lokalisierten PCa`s immer noch ein Mysterium.

Quelle: JAMA 2005;293:2095-2101, 2149-2151 nach Reuters Health Medscape, 03.05.2005

GünterF schrieb am 11.7.2006:

Dieses Studieergebnis zur Information. Quelle – PubMed, PMID 6713065, Management and Survival of Screen-Detected Prostate Cancer Patients who Might Have Been Suitable for Active Surveillance. Authors Roemeling S, Roobol MJ, Postma R, Gosselaar C, van der Kwast TH, Bangma CH, Schroder FH, Department of Urology, Erasmus MC, Medical Center, Rotterdam, The Netherlands

Übersetzung

Management und Überleben von Patienten, deren Prostatakrebs durch Screening entdeckt wurde und die für aktive Überwachung geeignet gewesen wären.

Ziel der Studie: Vorsorgeuntersuchungen resultierten in einem erhöhten Nachweis von Prostatakrebs (PCa). Unsere Kenntnis über die Art des PCa welcher lebensbedrohend ist und solche die es nicht sind, ist unzureichend. Aus ethischen, medizinischen und ökonomischen Gründen müssen wir verstehen lernen, welche Patienten mit aktiver Überwachung behandelt werden könnten.

Methoden: Von 1933 bis 1999 wurden Männer der Rotterdamer Sektion in der Europäischen Randomisierten Studie zum Screening von Prostatakrebs (ERSPC) durch zwei strikte Protokolle geprüft, die auf PSA und DRUS basiert waren. Für die Studie wurden Männer ausgewählt, die den Kriterien laufender Studien zur aktiven Überwachung entsprechen – Gleason Wert kleiner oder gleich 3 +3 in zwei oder weniger positiven Stanzen, PSA Dichte <0,2 und maximaler PSA Wert von 15 ng/ml. Das klinische Stadium musste T1C oder T2 sein.

Resultate: Aus den 1.014 PCa-Fällen, welche in der PCa-Nachweisprüfung entdeckt wurden, erfüllten 293 Männer (28 %) die Kriterien für eine aktive Überwachung. Der Altersdurchschnitt war 65,7 Jahre und der PSA-Durchschnitt betrug 4,8 ng/ml. Radikale Prostatektomie wurde von 136 Männern gewählt (46,4 %), Radiotherapie von 91 Männern (31,1 %) und beobachtendes Warten von 64 Männern (21,8 %). Die durchschnittliche Zeit der Kontrolle und Datenerhebung belief sich auf 80,8 Monate. Die PCa-spezifische Überlebensrate nach 8 Jahren war 99,2 %. Das erreichte Gesamtüberleben war 85,4 %. Neunzehn Männer, die anfänglich beobachtendes Warten gewählt hatten, wechselten während der Beobachtungsphase zu einer definitiven Behandlung.

Zusammenfassung: Drei Männer starben an PCa, keiner davon aus der „Beobachtendes-Warten-Gruppe". Dieses Ergebnis bestätigt vorläufig die willkürlich gewählten Kriterien für die Methode „Aktive Überwachung".

Dazu schrieb Reinardo am 12.7.2006:

Danke, Günter, für diesen Beitrag. Er bestätigt eigentlich nur die Studienergebnisse der Pathologen, deren Arbeiten ich in letzter Zeit gelesen habe. Wenn gewisse Kriterien gegeben sind (Gleason < 6, Krebs peridiploid, was in der Regel mit niedrigem Gleason korreliert, PSA-Wert langsam wachsend, um 5 %, PK-Volumen nicht > 4 cm³, PSA-Wert um die 10), dann ist beobachtendes Warten durchaus vertretbar.

Nach Schätzungen Timoklaits sind das mehr als 50 % aller Prostatakrebse.

Aber wie bringt man diese Erkenntnis in die urologischen Praxen? Wie nimmt man den von der Diagnose "Krebs" Betroffenen die Angst? Wer ist im Zustand des Schocks so stark, einer Beratung wie "Sie haben noch einen Anfangskrebs. In diesem Stadium haben Sie beste Aussichten auf Heilung. Ich empfehle Ihnen ..... Dann sind Sie`s los" zu widerstehen?

Immerhin ist die grundsätzliche schulmedizinische Anerkennung der Option Abwarten und Beobachten schon ein Fortschritt, schwer genug erkämpft, vergleichbar mit der Jahrzehnte währenden Auseinandersetzung um die Freigabe der Ladenöffnungszeiten.

Bei dieser Option wird immer das Alter des Betroffenen als Kriterium mit genannt. Wieso eigentlich? Gerade in jüngerem Alter ist es wichtig, dass Betroffene in der beruflich und emotional noch aktiven Phase von Nebenwirkungen verschont bleiben. Und nach den 8 bis 10 Jahren, die hier immer genannt werden, stehen alle Therapieoptionen doch noch zur Verfügung und zwar, sofern der Krebs sich nicht wesentlich verändert, auch weiteres Beobachten.