Der Extrakt aus dem Prostatakrebs-Forum von KISP und BPS

Prostatakrebs im Kopf

Hansjörg schrieb am 26.2.2001:
...es gibt ein indisches Sprichwort: "Jedes Problem hat ein Geschenk in der Hand!" Und ich muss sagen, dass die Diagnose Prostatakrebs mich auch im ersten Moment umgehauen hat; ich aber heute ein glücklicheres und interessanteres Leben führe als vorher. Carpe diem [nutze den Tag! - Ed.]!
Bill schrieb am 14.5.2001:
...beim Treffen in Offenbach mit dem Thema "Prostatakrebs im Kopf" hatten wir eine gute und hilfreiche Aussprache, wie ich finde. Wegen wichtiger anderer aktueller Fragen wurde die Zeit am Ende für weitere Wortmeldungen wieder einmal zu knapp. Ich melde mich daher auf diesem Wege. Da meine Bekannten und Freunde mir sagen, ich mache auf sie den Eindruck, gut mit meiner Erkrankung zurecht zu kommen, ist es vielleicht auch für den einen oder anderen von Euch nützlich, zu wissen, wie ich mich mit meinem PK im Kopf auseinandersetze.
Mein Vorteil ist sicherlich, dass ich von Hause aus ein gelassener Mensch bin (was nicht heißt, ich wäre gleichgültig, Ungerechtigkeit kann mich schon in Fahrt bringen). Ich bemühe mich zwischen den Dingen, die ich ändern kann, und solchen, die ich hinnehmen muss, zu unterscheiden. Beim Krebs heißt das für mich, ich hoffe, dass ich etwas ändern kann; ich werde aber auch nicht verzweifeln, wenn sich irgendwann herausstellt, dass ich in diesem Punkt irre.
Zur Zeit kann ich mit den Einschränkungen, die wir alle mehr oder weniger kennen (begrenzte körperliche Leistungsfähigkeit, mangelnder Antrieb, Impotenz, keine Libido, ein bisschen Inkontinenz, Zeitaufwand bzw. -verlust? für die Auseinandersetzung mit der Krankheit wie Arzt- und Therapeutenbesuche, SHG, Internet) "gut" leben. Ich mache mich jedenfalls in keinster Weise mit Dingen verrückt, die in der Zukunft liegen. Ich fände es zum Schwarz-Ärgern, wenn mir irgendwann der sprichwörtliche Dachziegel auf den Kopf fällt (Unfall, Schlaganfall, Herzinfarkt oder was auch) und ich bis dahin Zeit vertan hätte, mich über Schwierigkeiten zu grämen, die der Krebs gar nicht mehr verursachen kann, weil ich Opfer einer ganz anderen Geschichte geworden bin. Ich glaube vielmehr, ein von trüben Gedanken unbeschwertes Leben gibt Kraft, die vielleicht einmal kommenden Strapazen besser zu ertragen, und es hilft hoffentlich auch dem Immunsystem auf die Beine.
Mein Immunsystem versuche ich übrigens zu aktivieren, indem ich mich zu körperlichen Anstrengungen aufraffe. Ich hoffe, wenn Muskeln und auch die grauen Zellen gefordert werden, "kapiert" das Immunsystem, dass es etwas für das Instandhalten der gesunden Zellen und zur Abwehr von Feinden, wie entarteten Zellen, tun muss. Ein Beispiel ist mir da "der Mann von Diepgen", ein Berliner Verwaltungsangestellter, der von allen einschließlich seinen Ärzten aufgegeben worden war, es aber schaffte, seinen Krebs durch Extremsport zu besiegen. Extrem treibe ich zwar keinen Sport, aber die Richtung halte ich für richtig. Bei mir stehen Morgengymnastik, Skigymnastik, Rückenschule, Radfahren, Wandern, im Winter auch Langlauf und der Garten auf dem Programm.
Die Keule "Krebs" hat natürlich jedem von uns in voller Härte ins Bewusstsein gerufen, dass wir eines Tages dem Sensenmann gegenüber treten müssen. Das hat aber zunächst einmal den Vorteil, dass uns viel bewusster geworden ist, was uns das Leben wert ist. Wir sind dadurch viel aufnahmebereiter für die wundervollen großen und kleinen Dinge, die die Natur oder unsere Partnerschaft jeden Tag für uns bereithalten - also hat der Schock auch seinen Vorteil.
Und wenn ich wüsste, wie viel Tage, Wochen, Monate, Jahre mir noch vergönnt sind, würde ich nicht anfangen, in meiner restlichen Zeit möglichst viel zu erleben oder zu vollbringen. Wir sind grundsätzlich nur begrenzt aufnahme- und leistungsfähig. Hektik würde weniger statt mehr sein und die Qualität dessen, was man schafft, würde nur leiden.
Diese meine Einstellung ist natürlich leicht durchzuhalten, solange es einem verhältnismäßig gut geht. Die Tatsache, dass ich zur Zeit ernsthaft ergründen muss, wie es bei meinem steigenden PSA-Wert therapeutisch weitergehen soll, lässt andererseits verdrängen und träumen nicht zu. Ich setze aber darauf, dass ich nach der Entscheidungsfindung wieder mehr "leben" kann im oben erläuterten Sinn. Ich meine bezüglich des weiteren Vorgehens muss ein Schlusspunkt gesetzt werden, auch mit dem Risikos, im Nachhinein eventuell einmal klüger zu sein. Sich entschieden zu haben und mit dieser Entscheidung zu leben, halte ich für besser, als sich dauernd bei jeder neuen Methode zu fragen, ob sie noch wirksamer sein könnte. Bei der Komplexität der Krankheit Krebs wird es vorerst nicht "die" Methode/Therapie, die bei jedem gleich gut anschlägt, geben und sollte das Ei des Kolumbus dennoch überraschend gefunden werden, würde das sowieso schneller als ein Lauffeuer bekannt werden.
Auch wenn ich am Beginn gesagt habe, ich will mich nicht um ungelegte Eier bzw. Eier, die überhaupt nicht gelegt werden, kümmern, so denke ich doch, es ist wichtig, sich auch einmal mit der möglichen Verschlimmerung unserer Krankheit gedanklich zu befassen. Weil man dann auf den Eventualfall gefasst ist und so verhindern kann, in das ganz tiefe Loch zu fallen. Ich will hier kein Schreckensbild an die Wand malen, weil jeder für sich selbst entscheiden muss, wie weit er sich auf solche Fragen einlassen will. Ich habe mir jedenfalls die Broschüre "Tumorschmerzen" von der Techniker Krankenkasse besorgt, um zu wissen, was kommen kann, und zu erfahren, welche Möglichkeiten der Hilfe/Linderung, es gibt. Für mich selbst bin ich heute auch in dieser Hinsicht relativ gelassen. Mehr Sorgen mache ich mir, was diese Phase für die Angehörigen bedeutet.
Fazit:
Wir tun uns etwas Gutes und geben zugleich dem Krebs eins aufs Haupt, wenn wir
  1. ein gesundes Leben führen:
    uns gesund ernähren - ¼ l Wein gönnen - Alkohol/Tabak meiden
    uns in frischer Luft bewegen

  2. der Seele Gutes tun:
    Ängste/Sorgen zulassen, diese aber nicht überborden lassen
    uns in der SHG oder mit Freunden aussprechen
    uns an der Natur erfreuen
    unsere Partnerinnen (wieder) entdecken
    Unternehmungen starten, die Freude machen
    Hobbys pflegen

  3. das Leben genießen:
    das heißt, 1. und 2. in die Tat umsetzen.

["Bill" Günnter Brockmann starb am 3. Mai 2003 an seinem Prostatakrebs. - Ed]

Arnold, dessen PSA-Wert durch Antihormonbehandlung von 1232 ng/ml auf 2,1 ng/ml (unter Proscar) zurückgegangen war, schrieb am 7.9.2001:
...Nach jeder Untersuchung beim Urologen (ich habe jetzt einen sehr guten Urologen) warte ich nicht auf die nächste Untersuchung, sondern mein Dasein ist ausgefüllt mit Bauarbeiten, Arbeiten im Garten und abends geistiger Betätigung, wie Erstellung von Zeichnungen und Leistungsverzeichnissen für Preisanfragen. Ferner werden auch gute Wanderungen durchgeführt, dann und wann beim Essen auch einen Schoppen mundigen Rotwein. Das ist meine Zusatztherapie.
[Arnold starb am 6. Februar 2017, wenige Wochen vor seinem 87. Geburtstag. Meine Frau und ich nahmen an der Urnenbeisetzung teil. – Ed]

Hans-Helmut schrieb am 23.4.2004 im BPS-Forum:
möglicherweise will nicht jeder gesund werden. Immerhin bietet die Krebserkrankung die Chance, aus dem Leben zu gehen, ohne Hand an sich legen zu müssen. Das erledigt dann die Krankheit von selbst.
Nachteile beim PCa - er wächst zu langsam und kann im Endstadium erhebliche Schmerzen bereiten.
Was tun, wenn die Lebensqualität "im Eimer" ist: finanzielle Probleme, krankmachendes Umfeld zu Hause, fehlende soziale Kontakte (wer befasst sich denn gerne mit einem depressiven Menschen), Dystrophie (Unterernährung) und Zustände der Kachexie [Auszehrung - Ed].
Ein bewährter Vorschlag von Familienangehörigen: Denke positiv! Wenn dir das nicht gelingt, bist du selber schuld! Warum ist es nicht möglich, einfach zu sagen: "Ich zeige dir, wie man positiv denkt."
In diesem Forum wurde schon erwähnt, dass es auch bei Urologen sogenannte Schwarze Schafe gibt. Auch die Betreuung durch Psychologen oder Psychiater ist manchmal schwierig. Zur Bewältigung von seelischen Krisen habe ich von dort kaum Hilfe erfahren.
Ein hilfreiches Psychopharmakon könnte ja süchtig machen!
Rudolf ging am 24.4.2004 auf diese bitteren Sätze ein, indem er schrieb (seine Antworten der Deutlichkeit halber in Blau):
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>möglicherweise will nicht jeder gesund werden.
>Immerhin bietet die Krebserkrankung die Chance, aus dem Leben zu gehen, ohne Hand an sich legen zu müssen.
>Das erledigt dann die Krankheit von selbst.
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Diesen Gedanken hatte ich zwar auch bzgl. PK, aber ich kenne ich schon von früher wegen meiner Herz-Geschichten. Ich hab zweimal einen Sinusverlust gehabt und muss sagen, dass das eine Art des Dahinscheidens sein könnte, die durchaus akzeptabel wäre, es ist ein Dahingleiten über vielleicht ein paar Tage und dann sagt es Knack und das wars.
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>Nachteile beim PCa - er wächst zu langsam und kann im Endstadium erhebliche Schmerzen bereiten.
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Ja, er kann, aber mein Onko hat mir versichert, dass sie heutzutage mit der Schmerztherapie so vorgehen, dass der Allgemeinzustand der Patienten bis ca. 14 Tage vor dem Tod gut aufrechterhalten werden kann, natürlich je nach Ausgangslage.
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>Was tun wenn die Lebensqualität "im Eimer" ist: finanzielle Probleme, krankmachendes Umfeld zu Hause, fehlende soziale Kontakte (wer befasst sich denn gerne mit einem depressiven Menschen), Dystrophie (Unterernährung) und Zustände der Kachexie. ++++++++
Was tun? Sprechen, Sich-Austauschen, Sinn-produzierendes Miteinander organisieren - alles mit denjenigen, mit denen es geht. Und wenn das in der unmittelbaren Umgebung nicht geht, dann eben in einer grösseren Umgebung. Ich teile einiges an Problemen und Leiden mit Dir. Das tun andere hier im Forum auch. In Pforzheim und Umgebung gibt es Selbsthilfe-Gruppen, auch wenn Du in der Fülle von Krankheitsbildern (s. Dein Beitrag vom 7.Januar 2003)wohl kaum die richtige SHG finden kannst.
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>Ein bewährter Vorschlag von Familienangehörigen: Denke positiv! Wenn dir das nicht gelingt, bist du selber schuld!
>Warum ist es nicht möglich, einfach zu sagen:
>"Ich zeige dir, wie man positiv denkt."
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Das ist die übliche Weg-Schieberei von Problemen, mit denen man nicht viel anfangen kann oder vor denen man auch Angst hat - das mit dem Think Positive! ist oft eine Schaumschlägerei. Ich schätze, es ist möglich, zu zeigen - im Sinne eines Miteinander erlebens - wie letzten Endes ein Denkfühlen herauskommt, das dann doch positiv mit der gegebenen Situation umgeht. Aber dazu gehört das Negative, die Akzeptanz des Negativen, auch die Ablehnung von dem, was man nicht will, der Schrei. Sonst setzt es sich fest.
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>In diesem Forum wurde schon erwähnt, dass es auch bei Urologen sogenannte Schwarze Schafe gibt.
>Auch die Betreuung durch Psychologen oder Psychiater ist manchmal schwierig. Zur Bewältigung von seelischen Krisen habe ich von dort kaum Hilfe erfahren.
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kann ich bestätigen, was nicht heißt, dass es nicht auch gute Therapeuten gibt.
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>Ein hilfreiches Psychopharmakon könnte ja süchtig machen!
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ja, die Frage ist, ob der Arzt u./o. Psychologe sich mit der ganzen Palette Deiner Erkrankungen tatsächlich auseinandersetzt und diese akzeptiert.
Sehr mitfühlend und ausführlich schrieb Silke2 am 25.4.2004:
lass den Kopf nicht hängen. Ich hoffe, dass Du hier möglichst viele Antworten bekommen wirst, denn ich finde auch, dass dieses Forum geradezu geschaffen dafür ist, sich auch mit der seelischen Seite der Krankheit auseinanderzusetzen, egal ob über Email oder öffentlich. Ich glaube, Du bist da sicher nicht alleine.
Das mit dem positiv Denken ist so eine Sache - wenn man mit einer lebensbedrohlichen Krankheit konfrontiert wird und als Alternative zur ständigen Bedrohung seine Sexualleben ändern oder einschränken muss und/oder außerdem noch Hormone bekommt, bzw. die körpereigenen werden entzogen/unterdrückt, wo allgemein bekannt ist, dass Hormone direkten Einfluss auf das Gefühlsleben haben, also auch auf depressive oder fröhliche Stimmungen. Wenn man sich körperlich ziemlich schlecht fühlt und/oder Schmerzen hat, dann fühlt sich alles noch viel dramatischer an. Denn dazu kommen dann noch die Ängste.
Dagegen hört sich der Satz "denke positiv" für mich zunächst einmal ziemlich leer an. Doch ich denke, dass es schon stimmt, dass eine optimistische Lebenseinstellung und Fröhlichkeit das Immunsystem stärken, aber das funktioniert wahrscheinlich nicht von heute auf morgen und schon gar nicht dadurch, dass man den Satz vor sich hersagt und dabei seine Ängste und Nöte verdrängt. Dadurch ignoriert man sich und sein Seelenleben nur. Es gibt jede Menge Bücher über "positives Denken", dem einen oder anderen mögen sie helfen - ich habe keines gelesen, kann also nichts darüber sagen. Ich denke, dass in so einer Lebenssituation, in der man genötigt ist, sein ganzes Leben zu überdenken und umzustellen, ein Prozess in Gang gesetzt werden kann, der eine solche positive Lebenseinstellung zum Ziel hat. Ich glaube, dass dieser Prozess wichtig ist und nicht unbedingt die sofort einsetzende Fröhlichkeit. Aber Du kannst vielleicht versuchen, eine andere Sichtweise für die Dinge zu bekommen, indem Du versuchst, die Wahrnehmung nicht nur in eine Richtung zu lenken; indem Du versuchst zu schauen, was es da noch gibt, was Du vielleicht übersehen hast und Dich für Neues öffnen. Und ich denke, dass es hier wichtiger denn je ist, sich selbst mit seinen Bedürfnissen ernst zu nehmen. Wenn zu Deinen Bedürfnissen gehört, dass du über Deinen inneren Zustand sprechen willst, bzw. Dich eigentlich "nur" mitteilen willst, dann solltest Du dies meiner Meinung nach auch tun.
Das ist natürlich nicht einfach, weil man m. E. oft auch in seinem Umfeld gefangen und gefühlsmäßig abhängig ist. Da man meist gefühlsmäßig (wahrscheinlich mehr als vorher) abhängig ist, will man auch keine Konflikte heraufbeschwören. So dreht man sich dann im Kreis.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es nicht einfach ist, solche Themen anzusprechen. Oft ist es ja auch so, dass eine Kommunikation in diese Richtung schwer zustande kommt, weil auf beiden Seiten - sowohl der des Betroffenen wie auch auf der Seite der Angehörigen - die Angst vor Verletzungen (des anderen) oder vor Zurückweisung so groß ist, dass alle mit ihren Nöten alleine bleiben. Doch sind die (seelischen) Schmerzen dabei nicht kleiner oder weniger. Trotzdem kann ich kann nur jedem raten: sprecht miteinander! Teilt Euch mit! Ich weiß, dass das überhaupt nicht einfach ist. Doch ich glaube, man kann nur dabei gewinnen. Oft ist es ja auch so, dass die Angehörigen sich hilflos und ohnmächtig fühlen und nicht völlig abgetrennt oder vor etwas bewahrt werden wollen.
Du erlebst gerade die andere Seite. Du teilst Dich mit und gehst, wie ich es verstehe, offen mit Deinen Nöten um, Du gibst den anderen die Möglichkeit, daran teilzuhaben. Sie könnten mit Dir gemeinsam dadurch gehen und daran wachsen. Vielleicht kannst Du sie dazu bewegen, gemeinsam mit Dir eine andere Sichtweise für die Dinge zu bekommen, indem Ihr zu Allem, was Dich dazu veranlasst, schwarz zu sehen, versucht, etwas Erhellendes zu finden. Wenn die eine Sichtweise von alleine läuft, die dunkle Seite bestätigt zu finden, warum soll es in die andere Richtung nicht funktionieren? Vielleicht könnt Ihr Euch dabei gegenseitig unterstützen? Vielleicht können sie sich dadurch auch mit den dunklen Seiten, die es ja nun auch gibt, eher vertraut machen? Wenn sich für Dich was ändert, ändert sich zwangsläufig auch etwas in Deiner unmittelbaren Umgebung. Wenn Nahestehende sich verweigern, mit der Krankheit konfrontiert zu werden, heißt es nicht unbedingt, dass sie nicht auch quälende Gedanken haben, es kann aber möglicherweise sein, dass sie diese lieber verdrängen wollen, aus Angst. Als würden sie die Krankheit erst hinaufbeschwören, wenn sie sich näher damit befassen.
Vielleicht ist es ja auch nur die Unbeholfenheit der Liebsten, wenn sie Ratschläge erteilen, mit welchen man nichts anfangen kann. Sie können nicht alles wissen, weil ihnen die Erfahrung fehlt. Deshalb ist die Kommunikation so wichtig. Es gibt ja vielleicht die Möglichkeit, so eine neue Ebene der Beziehung zu entwickeln. Und deshalb richte ich meinen Appell besonders an die Angehörigen. Für den Betroffenen selbst ist vielleicht schwer, sich soweit über seinen Kummer erheben zu können, um die Unbeholfenheit der Anderen sehen zu können. Möglicherweise fühlt man sich da genervt oder einfach nur noch mehr angegriffen und nicht mehr stark genug. Und genau ist es, was auch nicht einfach ist: Dass eventuell die Rollen getauscht werden. Möglicherweise fällt es einem schwer, plötzlich akzeptieren zu müssen, dass die Anderen einem helfen und man selbst nicht mehr der Starke ist. Dabei erfordert es eigentlich auch ziemliche Stärke, durch diese Krise hindurchzugehen, denn dafür braucht man einfach viel Kraft. Und dennoch hat jeder Mensch auch noch viele andere Fähigkeiten und Eigenheiten, dessen er sich erinnern sollte.
Wenn Du im eigenen Umfeld keine Möglichkeit siehst, Dich jemandem anzuvertrauen oder mitzuteilen und Du auch meinst, dass Du ihnen die Chance gegeben hattest, findest Du sicher Rat in Selbsthilfegruppen und ich hoffe, auch Austausch hier im BPS-Forum. Richte Deinen Groll nicht gegen Dich selber, sondern verwende diese Kraft für Dich. Du fragst wie. Du hast ja nun den Anfang gemacht. Spreche mit anderen über das, was Dich quält. Ich finde, Du machst es richtig. Aber zermürbe Dich nicht selbst. Reden befreit. Und schau doch mal was Uwe Peters auf seiner Webseite www.prostatakrebse.de geschrieben hat. Und dann schau mal unter "Themen": z. B. "PK im Kopf" oder "PK und Psyche" usw. . Ich finde seine Gedanken ganz gut. Auf der Webseite gibt es zudem ähnliche Beiträge von anderen Betroffenen. Z. B. unter "Forumsextrakt" -> und dann wieder "PK im Kopf" oder "PK und Psyche" usw. usw. . Aber vielleicht kennst Du das alles schon.(?)
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich an das zu erinnern, was man an Interessen, Träumen und Wünschen in seinem Leben hatte. Man kann sich dann fragen, ob man bis jetzt davon etwas realisiert hat oder wenn nicht, warum nicht, was einen daran gehindert hat. Vielleicht kann man sie sich ja nun als neues Ziel setzen. Vielleicht kann man auch was Neues für sich entdecken. Am Anfang mag alles etwas nüchtern aussehen, aber mit der Zeit lernt man wieder, sich zu freuen.
Ich wünsche Dir alles Gute und viel Kraft

Happo schrieb am 27.5.2004:
habe mich seit Januar (Biopsiebefund positiv) intensiv durch dieses Forum gelesen. Zwischenzeitlich bin ich radikaloperiert mit Restkarzinom. Seit 11.5. Trenantone (vorher eine Woche Flutamid). Im August Bestrahlung.
Mein PSA am letzten Kliniktag (5.4.) 0,34 - am 18.5. 0,2.
Mit der Kontinenz komme ich Gott sei's gedankt auch gut klar.
Psychisch habe ich überhaupt keine Probleme. Vielleicht deshalb, da ich eine wunderbare Ehefrau habe (die mehr Angst hat als ich).
Ich weiß nicht, warum ich keinen Durchhänger habe bzw. Angst vor Todesfolgen - ich habe ein ausgeprägtes Gottvertrauen. Ich bin kein religiöser Fanatiker - vor über 30 Jahren schon aus der Kirche ausgetreten. Ich glaube für mich an Gott und komme recht gut klar mit ihm. Natürlich sage ich mir - wenn er Dir jetzt hilft, das zu überstehen, warum hat er dich überhaupt in die XXXXX reingeritten?
Aber es wird schon einen Sinn haben. Wenn ich evtl. noch 12 bis 14 Jahre schaffe, dann reicht's mir sowieso.
Ich habe in vielen Beiträgen dieses Forums schon von Betroffenen über psychische Downs gelesen - aber (vielleicht habe ich's übersehen) in nicht einem Beitrag ist von Glaube, Hoffnung und GOTT die Rede.
Schämt man sich - oder werden solche Beiträge gelöscht?
Ich bin froh, dass ich glauben und auch noch hoffen kann - und dass ich mich dabei seiner Führung überlasse.
Amen

Manfred schrieb am 16.7.2004 unter dem Betreff "Ich habe Angst":
Ich bin 50 Jahre alt. Bei meiner Voruntersuchung wurde ein PSA Wert von 23,6 ng/ml festgestellt. Danach wurden Gewebeproben aus der Prostata entnommen. Mein Urologe sagte mir, dass in den Proben PK festgestellt wurde.
Eine Welt brach in mir zusammen. Ich kann seit Tagen nicht mehr schlafen und denke nur noch ans Sterben. Ich bin doch erst 50. Was wird aus meiner Familie, wie schnell geht so was. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Ich habe keine Angst vor Impotenz oder „Windel“ Meine Frau steht voll hinter mir. Nur, wie lange kann ich noch bei meiner Familie bleiben. Ich habe einfach schreckliche Angst.
Ich fühlte mich doch gesund und stark, hatte nie Beschwerden. Auch heute nicht. Und dann mit 50 ein PSA von 23,6 und PK.
Ich habe schon viel im Internet nachgelesen und bin ganz durcheinander. Gib es viel Männer in meinem Alter, die auch PK haben?
Ich muss nun nächste Woche die restlichen Untersuchungen machen Knochenuntersuchung usw.
Ich hoffe, das ich euch nicht zuviel belästigt habe mit meinen Sogen. Ich mußte es schreiben. Es hat mit gut getan. Danke!! und lange Gesundheit.
Siegbert antwortete ihm am selben Tag:
Deine Angst ist verständlich, da musst Du durch. Doch so schnell stirbt man nicht. Hatte vor fünf Jahren vor Biopsie einen PSA von 56,1 ng/ml und bin noch da. Wenn Du die näheren Biopsie-Daten hast, teile Sie mal mit. Bis dahin ruhig Blut!
Ebenso Jürg:
Deine Angst begreife ich, aber: Prostatakrebs wächst langsam und es gibt heute gute Therapien. Das Wichtigste: Lass Dich nicht drängen, sondern sorge für eine einwandfreie Diagnose (das ist ja im Tun), bevor Du Dich entscheidest. Und wenn die Diagnose einmal da ist, kannst Du sie ins Forum stellen und wirst Antworten bekommen, die Dir weiterhelfen können.
Und nun ein Wort zu Deiner zentralen Frage: Prostatakrebs ist eine überaus häufige Erkrankung bei Männern, und oft sind auch jüngere wie Du betroffen. Doch gibt es unzählige Betroffene, die mit der Krankheit leben, und wenn das Glück es will, lässt sich der Krebs im Frühstadium sogar heilen. Ich bekam meine Diagnose im September 2000 mit einem PSA von über 200 ng/ml - und bin mit Hormontherapie nach wie vor nicht nur da, sondern durchaus in Form und lebensfreudig.
Hans-Jürgen:
du hast es völlig richtig gemacht und deine Sorgen hier aufgeschrieben. Das erleichtert und beruhigt. Aber - so ein Schicksal haben alle hier durchlitten. Wir sind alle Leidenskollegen von dir!!!!!!!!!!!!
Diese Diagnose bekam ich am 10.03.04. Auch für mich brach eine Welt zusammen. Nicht lange - denn es musste weiter gehen. Meine Familie brauchte mich und ich meine Familie.
Ich entschied mich für die laparoskopische Operation. Es waren zwei Tumore in der Prostata. Es bedurfte keiner Chemotherapie und auch keiner Bestrahlung.
Es ging mir danach sehr gut. Ich hatte keine Probleme mit der Inkontinenz. Auch jetzt noch nicht.
Zehn Tage nach der OP hatte ich erstmals wieder eine Morgenlatte. Die Erektion könnte zwar besser sein. Aber der Urologe meinte, wenn ich öfter trainiere, wird es schon wieder wie vorher. Einen Samenerguss habe ich nicht mehr, da beide Samenblasen und die Samenleiter entfernt wurden (werden sie immer).
Einen Orgasmus habe ich - sehr schön und heftig - eben so wie vor der OP auch.
Du siehst, das Leben ist noch nicht mit der Diagnose Prostatakrebs vorbei!!!!! Ich arbeite wieder und habe vor, es noch lange zu tun.
Deine Frage nach dem Alter: Als ich zur Nachsorge in einer Kurklinik war, hatte der jüngste Patient ein Alter von 42 Jahren. Sehr viele zwischen 42 und 60. Das war der Hauptanteil, dann waren einige zwischen 60 und 80 Jahren dort. Unsere Altersgruppe war zahlenmäßig am meisten vertreten. Da passt du schon in das Raster rein.
Lass dich bitte nicht verrückt machen!!!!!! Sieh es nicht so negativ und denke nach vorn!!
Es gibt mehrere Möglichkeiten einer Behandlung. Lasse dich in Ruhe von deinem Urologen beraten. Urologen sind Fachmänner, die etwas davon verstehen.
Vieles, was du im Internet gelesen hast, ist richtig. Aber es trifft nicht alles auf dich zu, denke daran!!!!!! Es gibt Patienten, die haben einen PSA-Wert von 160, 250... Ausnahmen - aber sie gibt es.
Das Knochenszintigramm muss gemacht werden, damit eine Absiedlung von Zellen in die Knochen ausgeschlossen wird.
Ich wünsche dir alles, alles Gute!!! Sieh nach vorn und denke an die schönen Dinge.
Friedhelm:
Ihre Angst kann ich voll und ganz verstehen. Mir ist es vor etwa zehn Jahren, im Alter von 56 Jahren, genau so ergangen, wie Sie es schildern. Die medizinischen Fortschritte sind inzwischen so gewaltig, dass es sich mit dieser sicher schlimmen Krankheit den Umständen nach noch gut leben lässt. Aber einen großen Vorteil haben Sie heute schon, denn, wie Sie schreiben, steht Ihre Frau voll hinter Ihnen, Sie sind nicht allein, und das ist sehr wichtig.
Woher ich diese Erkenntnis habe? Seit drei Jahren bin ich Vorsitzender einer Prostatakrebs-Selbsthilfe-Gruppe und werde fast täglich mit diesen Problemen konfrontiert. Nun gehen Sie die Sache mal ganz locker an, und wenn es Ihnen möglich ist, schließen Sie sich baldmöglichst einer Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe an.
Dort finden Sie Gleichbetroffene, die durch die Betreuungsarbeit ihre Ängste abgebaut haben. Hier finden Sie Menschen, die dieses alles schon einmal erlebt haben. Hier können Sie Erfahrungen sammeln, die für spätere Entscheidungen von großem Nutzen sein werden.
Und nun Kopf hoch, es wird bekanntlich nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Alles Gute, nutzen Sie die möglichen medizinischen Maßnahmen und die Betreuungen in einer Gruppe.
Reinardo:
ich hatte vor 3½ Jahren auch diese Diagnose und bin in den ersten Wochen mit dem Gefühl herumgelaufen, ich müsse mich von der Welt und allen Bekannten verabschieden. Dann habe ich mir aus dem Internet alles über Prostatakrebs herausdrucken lassen und meine Therapie in Ruhe gewählt. Heute führe ich ein ganz normales Leben wie andere, die Ihnen jetzt schon geschrieben haben. Also: Nerven behalten! Diagnose ausbauen! Informieren! Informieren!

Ralf schrieb am 13.4.2005:
mehrfach gab es im Laufe der Zeit in den Foren Anfragen darüber, wie man aus dem "tiefen Loch" wieder herauskommt, in das man durch die Krebsdiagnose oder durch den Krankheitsverlauf in der Zeit danach hineinfällt, so zuletzt Hans-Helmut am 8.4. und Hanne vor längerer Zeit.
Gestern nun rief mich ein Mitstreiter, ein in Spanien lebender Deutscher, von dort aus an. Er war nach der Diagnose ebenfalls in das tiefe Loch geraten und hatte schwere Depressionen gehabt. Psychiatrische Behandlung hatte wenig oder gar nichts gebracht. Ein spanischer Arzt half ihm auf ungewöhnliche Weise wieder aus dem Loch heraus: Durch Verabreichen von Schilddrüsenhormon bis zur Obergrenze des Normalbereichs. Der Patient ist seine Depressionen los.
Vom Wirkungsmechanismus dieser Therapie weiß ich nichts, vielleicht gibt es auch bisher gar keine schulmedizinische Erklärung, und ob es bei jedem so gut oder überhaupt wirkt, kann ich natürlich auch nicht sagen. Aber vielleicht ist es den Betroffenen und ihren Ärzten einen Versuch wert.
Auf eine Anfrage, um welches Hormon es sich handele, fügt Ralf am selben Tag hinzu:
Ich hatte zu schlicht gedacht und war stillschweigend davon ausgegangen, dass es nur ein Schilddrüsenhormon gibt. Ich hätte mir gleich denken können, dass es mehr sind: Thyroxin (T4), Trijodthyronin (T3) und Calcitonin (siehe http://flexicon.doccheck.com/Schilddr%FCsenhormone). Nach der Beschreibung dort würde ich darauf tippen, dass es hier um das Thyroxin geht, aber das muss ein Arzt beurteilen.
Elke schrieb dazu einen Tag später ausführlich:
ich glaube, hier wird ein falscher Eindruck vermittelt.
„Mens sana in corpore sano” - oder sinngemäß: „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist.“ – soll heißen: wir müssen bei psychischen Beschwerden zuerst jede mögliche körperliche Ursache für diese ausschließen oder behandeln lassen, um danach feststellen zu können, ob die Psyche trotz des gesunden körperlichen Zustandes weiterhin kränkelt. Dies gilt nicht nur für die Schilddrüse und deren Hormonregelung, sondern für andere Erkrankungen des Körpers, in dem Hormone generell eine wesentliche Rolle spielen, genauso.
Der Einfluss der Hormone auf das allgemeine Wohlbefinden ist ja den DHB-lern hinlänglich bekannt. Nicht jeder Mensch reagiert auf einen Mangel in gleicher Weise – auch dies muss berücksichtigt werden.
Im Falle der Schilddrüse käme eine Unterfunktion in Frage. Diese ist gekennzeichnet durch eine verminderte Eigenproduktion der Schilddrüse von deren Hormonen.
Behandelt werden könnte mit der Zufuhr von Thyroxin, denn
das Thyroxin kann man künstlich zuführen, das Trijodthyronin T3 sythetisiert der Körper anschließend selbstständig daraus. Der ganze Regelkreis wird gesteuert über das TSH, welches die Hirnanhangdrüse ausschüttet, um die Schilddrüse zur Produktion des Thyroxins anzuregen.
Zahlreiche (auch körperliche) Beeinträchtigungen werden durch einen Mangel an Schilddrüsenhormonen hervorgerufen: z.B.
- leichte Ermüdbarkeit
- allgemeine Schwäche
- ständiges Frieren, Kälteintoleranz
- Unvermögen zu schwitzen
- Desinteresse
- Konzentrationsschwäche
- Angina pectoris Beschwerden
- Durchblutungsstörungen
- Kopfschmerzen
- Impotenz
- Haarausfall
- taube Fingerspitzen
- rheumatische Beschwerden
- Atembeschwerden
Das alles können Leitsymptome sein, die relativ viel frühzeitiger die Alarmglocken läuten lassen könnten, wenn die Ursache in einer Unterfunktion zu suchen wäre, als es die depressive Verstimmung oder die starke Depression es ausdrücken würde.
Dies als medizinischen Hinweis auf den Zusammenhang von Körper und Geist im Allgemeinen aus medizinischer Sicht.
Links:
http://www.neuro24.de/d10.htm
http://web4health.info/de/answers/bipolar-thyroid-association.htm
http://www.medizinfo.de/endokrinologie/schilddruese/hypothyreose.htm
http://www.m-ww.de/krankheiten/innere_krankheiten/hypothyreose.html
http://www.meine-gesundheit.de/503.0.html

Theo schrieb am 7.11.2005 unter dem Betreff "Manchmal habe ich solche Stunden...":
...in denen meine Stimme sich in die Seele zurückgezogen hat, und wenn ich mit jemand rede, kommt sie mir fremd und unwirklich vor... Ich weiß sehr wohl, man soll sich nicht so niederdrücken lassen, aber ich kann nichts dafür wenn die Angst mich umklammert - Dann höre ich wieder von Menschen die schon lange leben mit dieser Angst, und sich irgendwie eine Nische im täglichen Erleben erobert haben...
Hoffnung keimt auf, was ist schon Statistik, ich bin ich.. und andere haben es auch geschafft. Dann wieder überfällt mich der Zweifel.. nehme ich das richtige, solle ich nicht etwas anderes ausprobieren? Ich hörte von Jomol, und sprach mit dem Wissenschaftler, der es für sich entdeckte. Er sprach voller Zuversicht, und Überzeugung... schließlich war er ja selbst betroffen..
Ein Entschluss packt mich, ich werde dort anrufen – Informationen einholen, und wenn ich mir das Mittel leisten kann, besorgen..
Ich habe wieder ein Ziel. Wieder eine Stufe zur Chance zu überleben..
Auch dieses Forum gibt mir viel. Hier sind sehr viele Menschen die genau so leiden wie ich, und viele verstehen es auch noch Mut zu machen, Informationen einzustellen, und damit Hoffnung zu geben.
Ich merke, ich bin nicht allein, viele verstehen wie ich mich fühle – Wir werden alles tun um gesund zu werden..
Dazu schrieb Jack einen Tag später:
Ich glaube das Wichtigste in deinem Beitrag ist, das Du Dich nicht mehr allein fühlst. Wir Männer haben da wahrscheinlich mehr Probleme, mit der inneren Einsamkeit umzugehen. Und Urologen sind offensichtlich nicht von Hause aus darauf disponiert, dazu viel beizutragen. Mir sickert erst jetzt täglich etwas mehr die Komplexität meiner Situation ins Hirn. Ich hatte ja keine Ahnung, was wirklich mit meinem Körper passierte, als mir die Diagnosen tröpfchenweise verabreicht wurden. Vielleicht besser so. Was ist denn schon ein PSA-Wert von 900?

Ralf schrieb am 1.5.2006:
Dr.F.E. hat mir kürzlich einen Beitrag von Don Cooley in seinem PK-Forum http://www.prostate-help.org/ geschickt, vermutlich, weil dieser Beitrag Dr.F.E. berührt hat. Ich habe ihn übersetzt, weil ich ihn auch wert finde, bei uns gelesen zu werden. Hier ist er:
"An alle,
ich würde gerne diese Krankheit diskutieren, wenn sie ins fortgeschrittene Stadium eintritt. Da wird bei einem Patienten ein metastasierter Krebs oder hohem Gleason, PSA, ein Stadium, das vielleicht auf metastasierten Krebs hindeutet – oder zumindest mögliche Mikrometastasen. Oder jemand, bei dem die Erstbehandlung versagt hat, und der steigendes PSA hat. In diesen beiden Fällen ist die Prognose nicht gut.
In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob die Behandlungen für dieses Stadium das Leben des Patienten verlängern wird, und um welchen körperlichen oder seelischen Preis. Wir haben dazu widersprüchliche Daten, aber wir glauben, dass zumindest die Hormonentzugstherapie (HT) das Leben des Betreffenden verlängern wird, aber uns liegen keine Langzeitstudien vor, in den Patienten eine HT genutzt haben oder nicht. Aber genug, was uns überzeugt hat, dass bei fortgeschrittener Erkrankung dies die Behandlung der ersten Wahl ist.
Wir müssen in Betracht ziehen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Patient gegenüber der HT refraktär wird und zu einer sekundären Hormonentzugstherapie und dann weiter zur Chemotherapie gehen wird. In diesem Fall wird nach einiger Zeit der Prostatakrebs dem Patienten das Leben rauben, wenn ihn nicht zuvor etwas anderes tötet. Zum Beispiel haben wir wenige Studien, die zeigen, dass irgendeine Chemotherapie einen Einfluss von mehr als einigen Monaten auf die Lebensverlängerung hat. Oftmals wechseln wir zu einem Behandlungsprotokoll, dass ein paar Monate lang unser PSA unten hält, und wir betrachten das als eine Lebensverlängerung – aber ist es das wirklich? Oder sind es nur einige Monate, die wir ohnehin gehabt hätten. Ich glaube nicht, dass wir es wissen.
Wir stehen also vor einer Frage, die nur der Patient beantworten kann – nicht seine Frau, seine Freundin, der Arzt, kein Freund – nur der Patient. Die Frage würde lauten, wie lange möchte ich am Leben bleiben, und um welchen Preis meiner Lebensqualität – ist Qualität wichtiger als Quantität. Wenn der Patient nach langem Nachdenken zu der Antwort gekommen ist, und im wirklichen Bewusstsein, wie es um ihn steht – es ist eine mörderische Krankheit. Was immer zu diesem Zeitpunkt die Antwort ist, kann sich später ändern – der Patient sollte nicht gedrängt werden, bei dieser ersten Entscheidung zu bleiben. Es sind sein Körper, Geist und Seele, von denen wir sprechen – niemandes anderen.
Wenn wir versuchen, den Patienten zu beeinflussen, indem wir ihm sagen, dass alles in Ordnung ist, und wir werden das durchstehen, bis es eine Heilung gibt. Leisten wir ihm einen schlechten Dienst, wenn wir tief im Innern wissen, dass alle Studien aussagen, dass die Erkrankung ihn töten wird. Leisten wir ihm einen schlechten Dienst, wenn wir ihn zu Chemotherapie überreden, wo die Behandlung manchmal schlimmer sein kann als die Krankheit. Leisten wir dem Patienten einen schlechten Dienst, wenn wir ihm sagen, dass Ernährung und Nahrungsergänzungen ihn heilen oder ihm überhaupt helfen werden. Leisten wir ihm einen schlechten Dienst, wenn wir ihn durchs ganze Land oder gar die ganze Welt jagen in dem Bemühen, Heilung zu finden, wenn es keine gibt.
Ich persönlich glaube, dass es oftmals genau dies ist, was wir tun. Wir müssen der Realität ins Auge sehen – ob gut oder schlecht, wir müssen ihr ins Auge sehen, nach ihr leben, sie akzeptieren und aussprechen, wie die Dinge stehen.
Was meine ich, was wir tun sollten? Stellt euch den Tatsachen! Seht dem unvermeidlichen Tod von Hochrisikopatienten durch diese Krankheit ins Auge. Und lebt für den Augenblick.
Ich glaube, wenn ein Patient erst einmal sich selbst eingesteht, dass diese Krankheit ihn in absehbarer Zeit umbringen wird, und diese Tatsache wird von seinen Lieben um ihn herum akzeptiert – dann öffnet sich ihm und seinen Lieben ein ganz neues Leben. Ein neues Leben und Glück, wie er sie vielleicht nie zuvor erlebt hat, eine Glück und eine Zufriedenheit mit sich selbst, die ihm in diesen verbleibenden Jahren viele frohe Dinge bescheren werden. Ein wahres Glück, das viele, die jeden Tag ihres Lebens mit der Krankheit kämpfen, nie erreichen oder auch nur verstehen.
Weg mit der Diät, weg mit den Nahrungsergänzungen, weg mit allem, was dem Patienten keine Freude bereitet. Wenn nichts davon hilft, und wir haben Hinweise dafür, dass sie es in diesem Stadium nicht tun, warum den Patienten mit einem Haufen Unsinn belasten und ihm falsche Hoffnung geben. Weitere Behandlungen, die vielleicht schlimmer sind als gar keine Behandlung und ohne Beweis, dass sie sein Leben verlängern – ich möchte den Rest meiner Tage in vollen Zügen genießen. Lasst den Patienten doch Dinge tun, die er immer tun wollte, aber nie konnte. Angeln in Alaska – na los! Kreuzen in der Karibik – mach's! Fallschirmspringen – hol dir den Kick. Gebt ihm die Chance, zusammen mit seiner Partnerin jede Minute seines Lebens bis zur Neige auszukosten. Sag nicht, dass du etwas nicht kannst – er weiß es selbst, und er kann solche Entscheidungen treffen.
Lasst ihn in Ruhe, und lasst ihn tun was möchte, um die ihm verbleibenden Jahre zu genießen. Auf längere Sicht werden die Familie und die Lieben einsehen, dass sie ihm darin schon voraus sind.
Wenn dann die Zeit kommt, dass seine Familie ihn nicht mehr pflegen kann – holt die Hilfe eines Hospizes. Wenn er das Vorstehende getan hat, dann wird er die Hilfe des Hospizes für sich und diejenigen begrüßen, denen geholfen wird, ihn zu versorgen. Und wenn die Zeit kommt, versammeln sich alle in der Erinnerung an all die schöne Zeit, die sie zusammen verbracht haben, und wenn er hinübergeht, dann ohne Schmerz und Bedauern.
Jedenfalls sehe ich es so, und ich denke, dies ist das Beste, was wir für den Patienten tun können – lasst seine verbleibenden Tage glückliche Tage sein!
Don
"Weise lernen mehr von Narren als Narren von den Weisen."
Alles über Prostatakrebs bei http://www.prostate-help.org
Einige Tage später noch ein Beitrag von Don Cooley:
Zu meinem Fall: Ich habe zwei kleine Kinder, 12 und 14. Ich fühle mich verpflichtet, für sie vorzusorgen, wenn ich sterbe. Ich möchte nicht, dass mein ganzes Geld für den Versuch ausgegeben wird, mich am Leben zu erhalten, wenn ich auf längere Sicht doch sterben werde. Ich habe wunderbare 74 Jahre gehabt und denke, ich werde noch ein paar weitere leben, aber ich habe alles Finanzielle geregelt, Patientenverfügung usw., die zu machen waren – habe sie alle kürzlich auf den neuesten Stand gebracht. Jetzt muss ich nur gerade genug Geld zurücklassen, damit die Kinder durchs College kommen (und sie arbeiten können) und für Michiko [vermutlich seine Frau] zu sorgen (und sie kann auch arbeiten). Meine zwei älteren Kinder sind 46 und 49 und in guten Positionen, und ich mache mir ihretwegen und ihrer Kinder wegen keine Sorgen.
Wenn also die Krankenversicherung (CA und Medicare) die Kosten für die Medikamente nicht übernimmt, werde ich sie nicht benutzen – schlicht und einfach. Ich will keine Lebensverlängerung, wenn es mit meiner Lebensqualität abwärts geht. Nur solange ich das habe, was ich als eine Lebensqualität betrachte, die ich genießen kann – werde ich darum kämpfen, am Leben zu bleiben. Wenn mit dieser Lebensqualität Schluss ist (von mir zu gegebener Zeit zu betrachten) und ich für die Familie zur Last werde, möchte ich einfach in Ruhe und Würde abtreten – und wenn ein Arzt dabei assistieren muss.
Don"
Dazu schrieb Jörg (O):
Es ist ein heikles Thema, dass Don C. anspricht; mit dem sich aber viele von uns auseinandersetzen müssen. So offen wurde es in unserem Forum noch nicht angesprochen. Wir Krebspatienten, die nicht durch Operation und/oder Bestrahlung geheilt wurden und sich nun einer Hormonblockade unterziehen, müssen damit leben, dass unsere Krankheit unser Lebensende bestimmen kann.
Gut, man verdrängt das Problem, weil man nicht ständig an Tod und Teufel erinnert werden möchte. Aber das Damoklesschwert schwebt über mir und die Fragen kochen doch ab und zu hoch: Was mache ich, wenn ich die Gewißheit habe, dass es bald zu Ende geht? Klammere ich mich an jeden Strohhalm? Wie werde ich meinen Mitmenschen gegenüber reagieren? Wie und wo werde ich sterben? Welche Möglichkeiten habe ich, mein Leiden selbst zu beenden? Und, und, und.....
Sicherlich läßt uns der Prostatakrebs genügend Zeit, sich mit diesen Fragen auseianderzusetzen, aber sterben wollen wir alle nicht und wenn es dann sein muss, dann doch möglichst mit einem sehr hohen Alter. Ich bin im Laufe der vielen Jahre, in denen ich mit meiner Krankheit lebe, ruhiger und gelassener geworden; befriedigende Antworten auf meine Fragen habe ich aber bisher nicht gefunden.
Ich weiß sie einfach nicht.
Fridolin schrieb:
Don bringt dieses Thema auf den Punkt. Obwohl ich mich über meine Werte drei Jahre nach der DHB (0,62 ug/l) nicht beklagen kann, beschäftigte ich mich damit, weil ich Freunde loslassen musste, die in dieser Situation waren.
Der Vater einer Bekannten, Biopsie mit 57, Gleasing 4+5, Metastasen in Leber, Knochen und Lymphdrüsen will nach dem zweiten Zyklus Chemo nicht mehr, verweigert die Einnahme von Medikamenten.
"Seid bei mir und lasst mich in Ruhe sterben"
Angehörige und Freunde können das nur schwer zu akzeptieren. Zunächst wollte ich ihn überzeugen, es ist nicht das Ende. Es gibt noch Chancen. Nach Don's Beitrag frage ich mich, war mein Versuch ihn in seiner Entscheidung zu beeinflussen rechtens. Nein, ich glaube nicht!
Nicht alle denken so. Sie nehmen den letzten Strohalm, nehmen die damit verbundenen Leiden hin und hoffen, dass diese "Alibi- und Hoffnungs - Therapien" das Leben wirklich verlängern. Wenn, dann mit sinkender Lebensqualität. Da stimme ich Don voll zu.
Um so zu handeln wie er, braucht man Gottvertrauen, Demut und Dankbarkeit für das Leben, das uns geschenkt wurde. Die Familie Don hat einen starken, verantwortungsbewussten Vater. Wer so handelt wird im Herzen seiner Familie und Freunde weiterleben!
Und Ralf trug nach:
als ich Don Cooleys Text las, musste ich an eine Begebenheit aus Uwe Peters' SHG denken, in einer Zeit, als Uwe noch lebte. Ein Mitglied des engeren Kreises (Uwes "Patmos-Gruppe"), prostatektomiert - Rezidiv - Kassenversion einer Hormonblockade - steigendes PSA - schließlich Chemotherapie, kam nach der Chemotherapie wieder in die Gruppe. Er sah aus wie Braunbier mit Spucke (wie man in Berlin sagen würde) oder tot und wieder aufgewärmt (wie Bob Leibowitz einmal einen Fall beschrieb), und Uwe, der in dieser Situation wohl auch hilflos war, versuchte ihm einzureden, dass er prächtig aussähe und bestimmt bald wieder auf dem Posten sein werde. Ich hatte als Zuhörer dieser Unterhaltung kein gutes Gefühl, wusste aber auch nicht, was besser wäre: die Wahrheit zu sagen, oder zu versuchen, den Betreffenden moralisch aufzubauen?
Nach dem Lesen von Don Cooleys Text bin ich sicher, dass Uwe damals falsch reagierte. Der alternative Weg ist aber weitaus schwerer: Mit dem Betreffenden, vorausgesetzt natürlich, man kennt ihn gut und weiß, dass man offen mit ihm reden kann, ein Gespräch unter vier Augen suchen und ihn fragen, wie er selbst die Zukunft sieht. Wenn sich zeigt, dass er sich seiner Situation bewusst ist (ich nehme an, dies war damals der Fall), dann darauf eingehen, vielleicht mit ihm zusammen überlegen, wie er die verbliebene, ablaufende Zeit zusammen mit seiner Familie auf die schönste Art und Weise nutzt, ihm sagen - wie Don Cooley es tut - dass er doch einfach noch das tun solle, was er sich sein ganzes Leben lang gewünscht hat aber nicht tun konnte, und ihm Mut machen die Kraft zu finden, das Leben loszulassen, um es in Würde zu beenden.
Jürg schrieb:
Es ist erfreulich, dass das Thema einmal gründlich zur Spreche kommt. Also gebe ich auch meine eigenen Gedanken preis:
Ich betrachte den PK als Herausforderung, gegen die zu kämpfen in einem gewissen Sinn faszinierend ist. Tönt komisch, ist aber so. Der Ehrlichkeit halber muss ich aber zugeben, dass auch ich in Abständen von etwa 3 - 4 Monaten von einem kleinen "Tiefdruckgebiet" besucht werde; aber warum sollte es mir besser gehen, als Frauen in den Wechseljahren? Und mit zwei oder drei Tabletten (natürlich nicht aufs mal!) eines Psychopharmakons, das mir mein Uro vorsichtshalber verschrieben hat, komme ich gut über die Runden. Dabei spielt es - aus meiner Sicht - aber eine große Rolle, wie alt man ist. In jungen Jahren ist es viel schwieriger, mit einer Krankheit umzugehen, welche die Sexualität aufs Abstellgleis schiebt und schlimmstenfalls tödlich verlaufen kann, als wenn man, wie ich, gut 70 Jahre alt ist. In diesem Alter sollte man ohnehin daran denken, dass man eine begrenzte Lebenserwartung hat und über kurz oder lang abtreten muss (oder auch darf). Entscheidend aber scheint es mir zu sein, wie man sich zur Erkrankung einstellt. Wer das Beste daraus zu machen sucht, sich einerseits mit einer gewissen Demut damit abfindet, aber andererseits nicht gewillt ist, sich unterkriegen zu lassen, ist sicher besser dran, als jemand, der nur noch schwarz sieht. Das tönt nun ein wenig nach Pfarrer, ist aber gar nicht so gemeint. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass er es mir hilft, mich mit meinem PK auseinanderzusetzen, ihn quasi als gleichwertigen Gegner zu betrachten. In Kürze werden seit meiner Diagnose sechs Jahre vergangen sein, und das Gefecht ist immer noch unentschieden – mit dem Vorteil auf meiner Seite, dass der PK in diesen sechs Jahren kaum echte Fortschritte machen konnte, und dass ich immer noch Kampftruppen in Reserve habe.
Ich weiss, dass ich letztendlich den Kampf wohl verlieren werde, überlege mir aber ebenfalls, dass es auch andere Todesursachen als PK gibt...
Christian sah einen Tag später Don Cooleys Text etwas differenzierter:
was hier Don Cooly anspricht, sind tief greifende Aspekte unserer Menschlichkeit. Als Sterbebegleiter mit Hospizausbildung kann ich viele seiner Gedanken über die eigene Endlichkeit nur voll unterstützen. Eine solche Lebenseinstellung zum eigenen Tod ist eine große Aufgabe für jeden von uns, und nicht nur für uns Prostatakrebskranke, sondern eigentlich für jeden – auch gesunden – Menschen, insbesondere, wenn er sich in einem bereits fortgeschrittenen Alter befindet. Wir sollten uns alle mit der Möglichkeit auch eines schnellen Abschiednehmens von dieser Erde befassen, mit der eigenen Endlichkeit also. Schließlich fahren wir alle Auto, fliegen, Arbeiten im Haushalt, gehen zum Skifahren und haben gelegentlich auch schon mal was am Herzen. Dann sind die Aspekte von Don Cooley ein hervorragender Ansatz.
Womit ich gar nicht einverstanden bin, ist seine relativ große Hoffnungslosigkeit bei den Therapieoptionen. Zwar kann ich nachvollziehen, dass die konventionellen Organspezialisten mit lokalen Therapien aufwarten, die mit starken Nebenwirkungen belegt sind und deren Langzeitwirkung bei einer wahrscheinlich ziemlich früh einsetzenden systemischen (der Körper ist schon betroffen) Situation ebenfalls recht unbefriedigend ist, jedoch glaube ich (etwas mehr als nur Hoffnung), dass dann, wenn der Prostatakrebs in seiner spezifischen Biologie erkannt und als eine chronische Erkrankung mit dem Ziel einer Lanzeitkontrolle behandelt wird, es erheblich größere Hoffnungen zu günstigeren Überlebenszeiten und besserer Lebensqualität gibt, als bei einer ständigen Aneinanderreihung von versagenden lokalen Therapien mit kurativem Ziel. Auch hier stimme ich mit Don Cooley überein: den Krebs annehmen, ihn in das Leben integrieren aber ständig auch mit ihm kämpfen.
Prostatakrebs reagiert auf Medikamente, nicht nur die einer Hormonblockade, besonders günstig. Schließlich sind es nur ca. 3 % der Männer mit Prostatakrebs, die mit ihm und nicht an ihm sterben, insbesondere wenn man weiß, das ca. 80 % aller 80-Jährigen Prostatakrebs haben.
Hier erschient mir Don Cooley allzu pessimistisch, wenn er bereits bei hohem Gleason, PSA, oder zumindest möglichen Mikrometastasen (die haben viele von uns, ich auch) den Sprung in die Kiste schon für unausweichlich hält und Ernährungsumstellungen, Zusatzstoffe, gar disziplinierte sportliche Bewegung, was nachgewiesener Maßen auch für jeden gesunden Menschen ohne Krebs Lebensdauerverlängerung bedeutet, lieber beiseite schiebt, wenn es Disziplin und Aufwand bedeuten und er deswegen auch Nebenwirkungen von Therapiemaßnahmen nicht in Kauf nehmen will.
Da irrt er wohl meines Erachtens.
Auch Rudolf dachte lange über Don Cooleys Text nach. Am 3.5.2006 schrieb er:
Danke Ralf und Dr.Eichhorn für diesen Beitrag,
ich verstehe ihn als Anregung, die Unausweichlichkeit eines Sterbens am PK eben auch zu thematisieren, neben den vielen anderen Diskussionen des Kampfes gegen den PK.
Ich stimme vielem zu, von Don Cooley und meinen Vorrednern, bin auch regelrecht froh, dass über die Möglichkeit, dass man am PK sterben kann, jetzt hier im neuen Forum vielleicht eine eigene Diskussions-Abteilung aufgebaut wird, aber ich habe auch Nicht-Übereinstimmung, teilweise finde ich Don Cooleys Überlegungen absurd (ähnlich wie Christians Darlegung).
„Seht dem unvermeidlichen Tod von Hochrisikopatienten durch diese Krankheit ins Auge.“
Das, finde ich, machen wir zu wenig. Sowohl in der Situation, die Ralf von der Uwe-Peters-SHG berichtete, als auch offiziell auf BPS-Ebene: Da werden auf den Versammlungen nur kurz ein paar Namen von Männern genannt, die im vergangenen Jahr gestorben sind, man erhebt sich, legt eine Trauerminute ein, das wars. Das ist meinem Gefühl nach zu wenig. Es sind viel mehr Männer aus den Gruppen, also solche, die wir kannten, gestorben; und zweitens sollte ein ehrendes Gedenken an diese Männer in einer Selbsthilfe-Organisation darin bestehen, dass wir jeweils das, was uns Weiterlebendenen und Weiterkämpfenden lehrreich erscheint oder sogar von den gestorbenen Männern mit auf den weiteren Weg gegeben worden ist, hochhalten und irgendwo nachvollziehbar ansiedeln.
„Ich möchte nicht, dass mein ganzes Geld für den Versuch ausgegeben wird, mich am Leben zu erhalten, wenn ich auf längere Sicht doch sterben werde. Ich habe wunderbare 74 Jahre gehabt und denke, ich werde noch ein paar weitere leben …“
Im Prinzip genau richtig, wenngleich das eine Frage der Quantität ist: Nicht mein ganzes Geld, nein, aber mein halbes? Wieviel ist das? Stellt sich bei monatlich mehreren tausend Euro nicht auch irgendwie die Frage, ob das noch angemessen ist? Ich glaube, Geld ist ein schlechter Ausgangspunkt, um das Vernünftige an dieser Überlegung herauszufiltern, denn in unserem tollen Kapitalismus ist das sehr ungleich verteilt – und deshalb ist die Brutalität dieser Ungleichheit gerade auch beim unterschiedlichen Ressourcen-Einsatz von reichen und armen PK-Männern nur mit einer besonderen Wut zu beantworten. Aber der Gedanke „Ich habe wunderbare 74 Jahre gehabt“ bzw. der Hinweis, dass das Leben ein Geschenk ist, dass wir mit einer gewissen Demut uns einstellen sollten, ohne uns unterkriegen zu lassen - das finde ich hilft. Wir sind nicht allein, wir sind nicht isolierte Einzelwesen, wir sind biologische Geistwesen in soziale Netzwerke eingebunden, wir können gar nicht anders als mit anderen Menschen zusammen. Don Cooley macht das an seinen Kindern klar – und ordnet eben ein Teil seines Geldes der Zukunft seiner Kinder zu, sagt damit: Das steht nicht mir zu, sondern ihnen. Genau. Wir sind nur in der Generationen-Kette gerade unter den Lebenden, haben aber lediglich dafür zu sorgen, dass die Staffette des Lebens weitergereicht wird, dass die Bedingungen des Lebens aufrechterhalten, vielleicht verbessert, aber möglichst nicht verschlechtert werden. Sieht man das so, wird der eigene Kampf ums Überleben gegen eine lebensbedrohende Krankheit relativ. Wir hatten und haben in der SHG Männer, die die Frage Haus-verkaufen?, Auto-verkaufen? Die-Zukunft-meiner-Kinder-oder-meiner-Frau-verkaufen? verneint haben, natürlich, würde ich sagen. Und darüber gestorben sind. Aber auch Männer, für die sich die Frage erst gar nicht stellte und auch gestorben sind. So oder so aber gibt es aber den Punkt für jeden vom Tod durch den PK Bedrohten, an dem die Entscheidung getroffen wird, den Kampf aufzugeben. Da stimme Don Cooley ebenfalls zu:
„Wir stehen also vor einer Frage, die nur der Patient beantworten kann – nicht seine Frau, seine Freundin, der Arzt, kein Freund – nur der Patient. Die Frage würde lauten, wie lange möchte ich am Leben bleiben, und um welchen Preis meiner Lebensqualität …“
Das Problem an dieser im Prinzip richtigen Setzung: Auch schon vorher sind es laufend Fragen, die eigentlich nur der Patient beantworten kann. Und wenn man die untersucht, stellt man fest, dass das Problem der Autonomie entscheidend ist: Was ist Autonomie? Wovon hängt sie ab? Was ist das Gegenteil? Ist nicht ein Patient, der sich nur von anderen treiben lässt, seinen Lieben um sich herum oder den Ärzten, weder im Kampf gg. den PK noch bei der Festlegung seines Sterbens am PK wenig in der Lage, eine autonome, sich selbst und den eigenen Lieben genügende Entscheidung zu fällen? Mit der Autonomie eng verbunden ist die Würde. Sterben nicht oft Männer würdelos, weil sie es nicht geschafft haben, den „End-Behandlungen“ Einhalt zu gebieten bzw. das Verhältnis zwischen unsicherer Lebensverlängerung und Lebensqualität für sich zu bestimmen?
Ich glaube, dass Sterben am PK bis auf wenige Wochen an den Tod heran ein würdevolles Leben sein kann. Und ich glaube, dass ein würdevoller Tod in diesem unausweichlichen Bergab am Ende nicht gesucht werden kann in der haftungsrechtlichen Grauzone von Morphin-verabreichenden Ärzten, die die Knochenmetastasen-Schmerzen einerseits nicht genügend unterdrücken können und andererseits die wahrscheinlich tödliche Dosis nicht geben dürfen.
Absurd finde ich diese Schlussfolgerung von Don Cooley:
„Weg mit der Diät, weg mit den Nahrungsergänzungen, weg mit allem, was dem Patienten keine Freude bereitet. Wenn nichts davon hilft, und wir haben Hinweise dafür, dass sie es in diesem Stadium nicht tun, warum den Patienten mit einem Haufen Unsinn belasten und ihm falsche Hoffnung geben.“
„Lasst den Patienten doch Dinge tun, die er immer tun wollte, aber nie konnte“
Eben dachte ich noch, er hätte 74 wunderbare Jahre gehabt – aber offenbar hat er das nicht so gemeint, dass das doch genug sein kann? Nein, im Angesichts des PK-Todes muss nochmal kräftig einer drauf gemacht werden – ungelebtes Leben jetzt auf einen Schlag nachholen, Sekunde für Sekunde - ?!? welch ein Quatsch! Was soll das für eine „Freude“ sein, die sich von „Diät“ (welch ekelerregendes Wort …) und „Nahrungsergänzungen“ (igittigitt) befreit, weil das ohnehin nur Ballast ist. Ich schätze, bei dieser Einstellung könnte das „Angeln in Alaska“ leicht in Verstopfung und Erbrechen steckenbleiben.
Christian hat Recht, dass er den Pessimismus von Don Cooley kritisiert. Ich denke, das gilt eben auch für die Sterbe-Phase. Wenn ich z.B. lese, dass ein Mann (allerdings nicht PK-, sondern Lungen-Metastasen) sich, den unvermeidlichen Krebs-Morphin-Tod vor Augen, einen klaren Kopf behalten wollte, Morphin abgelehnt hat und irre hohe Mengen von Fischöl genommen hat, so aber kaum Schmerzen hatte und sich würdig verabschieden konnte. Oder wenn Don Cooley selbst schreibt:
„Und wenn die Zeit kommt, versammeln sich alle in der Erinnerung an all die schöne Zeit, die sie zusammen verbracht haben, und wenn er hinübergeht, dann ohne Schmerz und Bedauern.“ - dann drückt er ja selbst die Hoffnung aus, dass das möglich wäre.
Also lasst uns danach suchen und es hier diskutieren: Würdevolles Sterben am PK.
Michael (Jg. 1952) ließ sich Zeit mit seiner Stellungnahme. Am 8.5.2006 schrieb er:
der Brief von Don Cooley hat mich überhaupt nicht begeistert. Man muss bedenken, dass er über 70 J. alt ist, das Leben auch vorher schon gut genossen hat (s. zwei kleine Kinder in dem Alter, wievielte Frau?), wahrscheinlich materiell auch gut abgesichert ist. Die Grundgedanken sind bestimmt nicht schlecht, aber mir hilft das wenig weiter. Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich auch so langsam mit meiner Ausweglosigkeit einigermaßen abgefunden und versuche, das Leben zu genießen und meine Familie nicht zu sehr zu belasten. Meine Söhne sind 24, 22, 20 und der jüngste 17 Jahre alt und alle im Studium bzw. der Jüngste macht in zwei Jahren das Abi. Ich kann nicht einfach nach Alaska zum Angeln oder eine Weitreise machen oder ähnliches. Gut, mir geht es materiell nicht schlecht, obwohl meine BU-Rente auch nicht so hoch ist, aber es reicht und ich genieße das Leben jetzt auch anders als früher. Aber es gibt viele in meinem Alter, denen es bestimmt nicht so gut geht, die arbeiten müssen und zusätzlich zu ihrer Krankheit bzw. gerade wegen dieser noch große Existenzsorgen haben, die mich vor meiner Verrentung vor vier Monaten als Freiberufler auch unheimlich gequählt haben. Ich glaube, denen kann der Brief von Don wenig helfen.

GeorgS schrieb am 30.1.2007 unter dem Betreff "11 Jahre...":
Elf Jahre lebe ich nun mit meinem Untermieter bei sehr guter Lebensqualität. Es waren elf Jahre, die ich bewusster lebte, als die Jahrzehnte zuvor.
Elf Jahre, auf die ich dankbar zurückblicke, unabhängig davon, wie sich mein PK in Zukunft „aufführen“ wird.
Mein PK wächst vor sich hin und ich reife mit ihm.
Das Leben bekam im Angesicht seiner Endlichkeit eine unerwartete Fülle. Eine anfangs verwirrende, aber zunehmend von Dankbarkeit begleitete, Erfahrung.
Und so sehe ich meinen PK nicht mehr nur als Feind, sondern zunehmend auch als Weggefährten auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, ähnlich, wie Clemens Kuby: „Symptome sind letztlich nur Hinweisschilder... Wir können zwar gewisse Symptome beseitigen, aber die Seele wird neue Symptome produzieren, um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen, solange diese nicht erfüllt sind.“ www.clemenskuby.de => Visionen.
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Seit mehr als 11 Jahren habe ich Prostatakrebs“, schrieb Gerd Unterstenhöfer am 06.10.2006 und ... „Es gibt keine medizinische Erklärung dafür, weshalb ich so lange und so gut überlebt habe.“ http://forum.prostatakrebs-bps.de/showthread.php?t=768.
Wir hatten unterschiedliche Ausgangswerte und haben nicht zuletzt deshalb unterschiedliche Wege gewählt.
Außer den 11 Jahren gibt noch eine Gemeinsamkeit, die m. E. Anteil an unserer langen Überlebenszeit hat: Die Wertschätzung der mentalen Arbeit.
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Zur Sache möchte ich noch einmal feststellen,“ schrieb Gerd Unterstenhöfer mit PSA-Wert 80 nach zweifacher Hormonblockade „dass ich h e u t e entschlossen bin, mir keine Chemotherapie anzutun.“
Mein PSA-Wert hat erneut einen Sprung gemacht: 19,1 ng/ml und die PSAVZ beträgt jetzt „nur noch“ ca. 2,5 Jahre. Ich weiß auch seit 2005 (Speziallabor für Immunhämatologie), dass sich in meinem Blut „eine deutlich erhöhte Anzahl zirkulierender, vitaler tumorverdächtiger Zellen“ befindet und dass es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit, „um aus dem Tumor ausgeschwemmte Zellen handelt.“ – obwohl der Tumor bei der letzten Untersuchung (05.2006 ) innerhalb der Kapsel war.
Mit einer radikalen Therapie konnte ich mich nicht anfreunden. Lebensqualität ist mir wichtiger als Lebenszeit.
Und :
Wir leben das Leben besser, wenn wir es so leben, wie es ist, nämlich befristet. Dann spielt die Dauer der Frist kaum eine Rolle, da sie sich an der Ewigkeit misst.“
Diese Aussage von Peter Noll (ein bedeutender Jurist, der bei Blasenkrebs eine Operation ablehnte, weil sie seinen Lebens- und Todesvorstellungen widerspreche und der daran auch starb.) von Christian (L) ins alte Forum gestellt, hat es mir angetan.
Ich lernte in den 11 Jahren loszulassen, bes. materiellen Besitz und dass das Leben vom ersten Moment an ein Reifwerden zum Tode ist. Ein Reifwerden zur Wandlung, ähnlich wie bei einer Raupe, die nach dem Verpuppen zu neuem Leben erwacht, zu einem Leben, dessen Dimensionen zu begreifen für sie damals außerhalb ihrer Möglichkeiten lag. :-)
Manch einer packt das nicht, auch wenn er 100 Jahre alt wird“, scherzte ein Mitglied unserer monatlichen Alt-Herren-Runde nach dem 3. Glas Rotwein „ und denen drohe dann die Wiedergeburt auf unserem Planeten, den wir gerade zu einer Räuberhöhle umgestalten.“ :-(
Wie viele Tage, Monate oder Jahre Entwicklungsarbeit mir noch bleiben, steht in den Sternen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen hinreichend Zeit