Der Extrakt aus dem Prostatakrebs-Forum von KISP und BPS

Fallbeispiele

Urologe Dr. Frank Eichhorn berichtete am 1.1.2003 im BPS-Forum von diesem Fall aus seiner Praxis:
Heute möchte ich Ihnen wieder einen Fall aus meiner Praxis beschreiben – zum Thema "Zuverlässigkeit bildgebender Verfahren ".
Gleich vorweg: es gibt kein Ultraschall- , Kernspin- , Röntgen- oder ein anderes high Tec Gerät mit dem ein Prostatakarzinom zuverlässig nachgewiesen werden könnte. Noch kann keines der genannten Verfahren die Gewebsentnahme ersetzen.
Herr G. L. 58 Jahre alt von Beruf Steuerberater leidet seit ca. 20 Jahren unter Prostatabeschwerden: lästiger häufiger Harndrang – nachts 3-5 mal aufstehen – rel. schwacher Harnstrahl – plötzlich auftretender Harndrang (Anmerkung: bei Patienten die diese oder ähnliche Beschwerden haben ist ein Proststakrebs statistisch häufiger zu finden als bei Patienten die keine Beschwerden haben).
Viele Behandlungsversuche mit pflanzlichen Präparaten bringen nur vorübergehend eine Linderung. Auch die sogenannten Alphablocker (Alna, Uroxatral, Omnic) sowie mehrere Antibiotikabehandlungen können die Beschwerden nur vorübergehend bessern.
Im Rahmen der jährlich durchgeführten Krebsvorsorgeuntersuchung lag der PSA – Wert immer im Normbereich – d.h. unter 3 ng/ml (1995 2,4 – 1998 2,0 – 2000 2,2 – 2001 3,2).
erMRI (endorektale Kernspinuntersuchung) 12/01 : „Rein morphologisch kein Hinweis auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms. Bei weiterem PSA – Anstieg sollte eine Kontrolle der markierten streifigen Signalveränderungen erwogen werden“.
Transrektale Ultraschalluntersuchung (TRUS): Volumen 25 cm3; Drüse homogen; Samenblasen ungestaut.
Herr G. nahm an dem Treffen mit Dr. Strum in Bad Reichenhall teil und hörte von PSA – Verdopplungszeit (sollte über 10 Jahren liegen) und PSA - Dynamik (sollte nicht mehr als 0,75 ng/ml/Jahr ansteigen).
Als bei einer Kontrolluntersuchung der PSA – Wert auf 3,6 angestiegen war entschloss er sich eine Prostatabiopsie machen zu lassen.
Histologie: Glanduläres Prostatakarzinom links – Tumoranteil 20%. Gleason 3+4=7 (Prof. Helpap) Rechts tumorfrei (links und rechts jeweils 5 Stanzzylinder).
CS (Klinisches Stadium): T1CN0Mo Gleason 3+4=7
Partin: 63,31,4,1 (Wahrscheinlichkeit für organbegrenztes Wachstum; Kapselinfiltration; Samenblaseninfiltration; Lymphknotenmetastasen)
AP und Pyridoline im Urin im Normbereich.
CT und Knochenscintigramm nicht gemacht.
(In dieser Konstellation ist die Wahrscheinlichkeit für einen verwertbar positiven CT oder Szintigrammbefund sehr niedrig und sollte nicht veranlasst werden – weil Geldverschwendung!!)
Alle Befunde sprechen für ein lokal begrenztes Prostatakarzinom.
Herr G. hat sich intensiv mit allen Behandlungsmöglichkeiten seiner Erkrankung auseinandergesetzt. Eine externe oder innere Bestrahlung (seeds) lehnte er wg. vorbestehender langjähriger Prostatabeschwerden ab.
Die Hormontherapie war ihm zu unsicher.
Also entschloss er sich zur radikalen Prostatektomie.
Die Operation führte ein sehr erfahrener Chirurg im Juni 2002 durch. OP–Dauer 2:25 Stunden. Saugerinhalt 600 ml (Blutverlust). Der stationäre Aufenthalt betrug zehn Tage. Komplikationsloser Verlauf.
Histologie: Pluriformes glanduläres und tubuläres Karzinom Gleason 3+4=7 Einige Herde einer PIN III (das ist eine prostatische intraepitheliale Neoplasie – eine Vorstufe zum Prostatakarzinom – siehe im Buch von Dr. Sturm und D. Pogliano „ A Primer on Prostate Cancer“ S. 28).
Pathologisches Stadium (T2bNoMoRo) – d. h. beide Prostatalappen sind befallen – Lymphknoten (N0) und die Absetzungsränder sind tumorfei (R0) – keine Fernmetastasen (M0).
Letzte Kontrolluntersuchung 10./02:
Keine Beschwerden beim Wasserlassen – Harnstrahl gut. Muss nachts 1x aufstehen. Kaum noch Drangsymptome. Erektion und Geschlechtsverkehr zufriedenstellend.
PSA: 0,01 ng/ml
Was können wir aus dieser Krankengeschichte lernen?
  1. Das klinische Staging war falsch – man spricht von understaging wenn der endgültige pathologische Befund schlechter ist als vor der Operation vermutet. Das ist eher die Regel denn die Ausnahme !!
    PSA Grenzwerte sind in Abhängigkeit vom Prostatvolumen zu sehen. Beispiel: TRUS – Volumen 40 cm³ x 0,12 (nach Dr. F. Lee) = 4,8 ng/ml benignes PSA?? Nach Dr. Strum TRUS-Volumen x 0,066 = Anteil BPH im obigen Beispiel 2,64 ng/ml benignes PSA. Diese Berechnung erscheint mir eher realistisch.
  2. Bildgebende Verfahren: die Qualität der Bilder und vor allem deren Interpretation hängt entscheidend von der Erfahrung des Untersuchers ab. Manchmal ist die Methode gut, aber der Untersucher unerfahren. Dann sind die Ergebnisse unbrauchbar. Nach meiner Erfahrung wechselt das Personal gerade in Zentren wie Unikliniken sehr häufig – es ist schon eher ein Zufall, wenn ein Kollege über mehrere Jahre ein Spezialgebiet kompetent betreut.
  3. Entdifferenzierte Karzinome mit einem Gleason score von 7 und höher produzieren manchmal wenig PSA! Das bPSA von 3,6 ng/ml kann zu einer abwartenden Strategie verleiten. Wahrscheinlich war die Entscheidung von Herrn G. für die RP richtig.
Das Risiko für ein PSA und Tumorrezidiv ist sehr niedrig.
Wahrscheinlich ist die erMRI mit Spektroskopie die derzeit beste Methode, ein Prostatakarzinom nachzuweisen (die Methode ist unter www.pcri.org/insights genau beschrieben). Leider gibt es aber nur zwei Institutionen, die diese Untersuchung anbieten – in San Francisco und New York. In Deutschland ist z. B. Dr. Sommer, Radiologe in München Pasing, sehr bemüht gute erMRI zu liefern, allerdings noch ohne Spektroskopie. In Wien wird die Spektroskopie zwar angeboten – über die Qualität oder Treffsicherheit der Diagnosen habe ich aber noch nichts gehört oder gelesen.
In der urologischen Praxis ist nur die sog. randomisierte ultraschallgeführte PE (jeweils 3 Proben aus der Mitte und 2 seitlich) machbar. Eine vorher durchgeführte erMRI erhöht nach meiner Erfahrung die Trefferquote.
Noch höhere Trefferquoten bringt evtl. eine Prostatabiopsie im sogenannten offenen Kernspin – ein Gerät das so konstruiert ist, dass während der Bildaufzeichnung Gewebeproben entnommen werden können. Daran wird in der Abt. Radiologie, Uniklinik Frankfurt, gearbeitet.
Die farbkodierte Doppler-Ultraschalluntersuchung zeigt Prostataareale mit höherer Gefäßdichte. In hier entnommenem Gewebe findet sich häufiger ein Karzinom.
Auch mit dieser Technik muss man Erfahrung haben – in Amerika hat Dr. Fred Lee die Reputation, das Karzinom mit dieser Methode zu finden – in Österreich die Abteilung von Prof. Bartsch, Innsbruck.

Urologe fs stellte am 1.2.2006 die folgenden Fallbeispiele aus seiner Praxis vor:
Pat. 56J, sonst gesund.
aPSA: 8,29, fPSA 7 % (08/2000), Prostata 30 ml
Bx: PCa (Grading ???)
- ersteinmal Enantone, wollte überlegen, dann 11/00 RPE, nicht nervesparing [nervenschonend – Ed]
06/01 - PSA 0,02
10/01 - PSA 0,01 - Versuch Viagra, kein Erfolg, deutliche Belastungsinkontinenz
10/03 - PSA 0,03 - geringe Erektionen - Pumpe, aber unzufrieden – Angst wg. PSA - Szinti o.B.
10/04 - PSA 0,01 - SKAT, damit sehr zufrieden
01/06 - PSA 0,01 - SKAT weiter, Keine Inko. Nur Sicherheitsvorlage beim Tennisspielen.

Pat. 58J, sonst gesund
PSA von 2,1 auf 3,1 in 12 Mon
12/02 Bx - herdförmigen Infiltration durch ein mittelstark ausdifferenziertes cribriformes Adenocarzinom der Prostata (G2a).
Szinti o.B:
01/03 RP, nicht nervesparing
06/03 PSA 0,02 - Inkontinenz II°
12/03 PSA 0,02
09/04 PSA 0,01 - Inko wird deutlich besser
03/05 PSA 0,3
06/05 PSA 1,0 - Histo: Nachforderung der Immunhistochemie -> Tumor Bcl2, CGA, CD56, NSE negativ
Proc: Eine systemische Erkrankung/Rezidiv muss angenommen werden (PSADT 1,8 Monate). Deswegen Radiatio Prostataloge plus Lymphabfluss und 9 Monate antiandrogene Therapie
PET/CT - V.a. Leisten-LK befallen, bei Kontrolle aber nicht bestätigt, sondern nur P-Loge
-> Casodex 1 x 1 + Zoldex + RT 68 Gy Prostataloge und kleines Becken
(danach vermehrt Reizblase und etwas Blut im Stuhl, würde aber nicht sonderlich stören)
11/05 PSA 0,01 - derzeit keine Beschwerden
01/06 PSA <0,01 (Testo 0,08) - keine Beschwerden, Casodex + Zoladex noch 3 Monate weiter

Pat. 62J, Prostatitis, Diabetes, Zustand nach Thrombose
05/94 Bx wegen Tastbefund - keine PSA - pT1G1 (???)
11/94 RPE - Histo im OP-Präparat KEIN KARZINOM!! - PSA < 0,1
01/99 PSA 0,56
09/99 PSA 0,80
01/00 PSA 1,52
04/01 PSA 1,9 - Urologenwechsel
02/03 PSA 1,9 - Urologenwechsel
02/03 TRUS-farbkodiert: Verdacht auf Lokalrezidiv, bzw. Restprostata an der Anastomose - Biopsie
-> G3NxMx Gleason 4+5=9 (!)
06/03 RT der Prostataloge mit 72 Gy + 6 Mon. Casodex
09/03 PSA 0,02
12/03 PSA 0,01
03/05 PSA 0,01 - verstorben an Herzinfarkt - bis zuletzt urologisch KEINE Probleme mehr

Pat. 52J, sonst gesund - pT2G2N0M0 Gleason 7(?)
02/01 RPE, nicht nervesparing
07/01 PSA 0,03 - kaum Inkontinenz, komplette Impotenz, wünscht Hormonstatus - Testosteron 5,1 - DHEA 34 - sehr niedrig
-> 50 mg DHEA pro Tag
03/02 PSA 0,04 - Testo 3,8 Befindlichkeit deutlich besser, DHEA optimal - GV mit SKAT, gelegentliche Spontanerektionen, keine Inko
12/02 PSA 0,06 - DHEA abgesetzt, nach ausf. Aufklärung Testosteronsubstitution bei inzwischen deutlich erniedrigten Wert
04/03 PSA 0,06 - Testosteron tut SEHR gut
07/03 PSA 0,10 - TRUS: unauff. Anastomose
09/03 PSA 0,08 -
11/03 PSA 0,10
03/04 PSA 0,11 - wegen des nur langsamen Anstieges keine Konsequenzen
07/04 PSA 0,10 - GV mit Levitra möglich, keine Inko
10/04 PSA 0,10 - Testo 4,5 (Rebound nach Absetzen der Med.)
01/06 PSA 0,13 - auf Wunsch wieder DHEA (ist wieder niedrig), sonst zufrieden
Kommentar: Diese langsamen PSA-Anstiege sind kein Karzinom, denn auch die Testosterongabe hat den Verlauf nicht beeinflusst - Wahrscheinlich versprengte gutartige Prostatazellen

Pat. 62J, sonst gesund
aPSA 6,7
09/02 Bx pT1cG3 (Gleason 3+4)Ploidie nicht aneupliod
10/02 RPE nicht nervesparing
bis heute PSA <0,01, aber Inko III°
2003 künstlicher Schließmuskel, der sich infizierte und nach 6 Monaten wieder ausgebaut werden musste.
6 Monate Antibiose + Katheter, danach zweiter Versuch eines künstlichen Schließmuskels. Während der OP Ballon beschädigt, aber nicht bemerkt. Erneute OP zur Korrektur. Danach wieder Infekt und Ausbau der Prothese.
Bis jetzt Urinalkondom wegen der Inkontinenz.

Urologe fs berichtete am 8.2.2006 von einem Fall aus seiner Praxis, wo die DHB nicht den gewünschten Therapieerfolg gehabt hatte:
27.07.2004 165 -
Bx: pT3G3NxMx (Gleason 3+4=7, kribiforme Anteile) - Szinti o.B.
Beginn DHB: Pofact, Casodex 150, Proscar, Vit. E., Rocaltrol, Zometa dreimonatlich, CalciumD3
07.10.2004 12
21.12.2004  3,47
10.02.2005  3,3
05.04.2005 10,6
18.07.2005 18,82 < Testo 0,3
14.09.2005 20,4 < Testo 0,07 - CGA, NSE, CEA immer OK - Wechsel Casodex auf Androcur + Ketokonazol + Hydrocortison
29.10.2005 57 - PET/CT (LK-Pakete links illiacal)
03.11.2005 91 - low-dose Taxotere + Radiatio der Befunde - Hormone bis auf Profact und Proscar abgesetzt
12.12.2005 24 -
16.12.2005 13 - Strahlentherapie beendet
08.12.2005 5,61 – Taxotere
[Per Definition ist die DHB allein eine Behandlungsform für PK im lokalen und lokal fortgeschrittenen Stadium. Dr. Leibowitz hätte im vorliegenden Fall mit ein bis zwei Hochrisikofaktoren (PSA > 25 ng/ml, GS > 3+3) eine "niedrig dosierte metronomische" Chemotherapie hinzugenommen – Ed]